Wo das Herz der Sheriffs schlägt

Wer die Vorwahlen in New Hampshire nicht gewinnt, der wird nicht Präsidentschaftskandidat. So heißt es seit 40 Jahren. Morgen entscheiden hier die Republikaner – Bob Dole versus Pat Buchanan  ■ Aus Laconia Andrea Böhm

Es ist gut ein Jahr her, da begannen die Präsidentschaftsbewerber der Republikaner, Sheriff Stephen Hodges zu umwerben. Phil Gramm, der Senator aus Texas, war am aufdringlichsten; Richard Lugar, der Senator aus Indiana, präsentierte sich „sehr nett“, aber unorganisiert; Lamar Alexander, der Exgouverneur aus Tennessee, schien etwas zu unbeholfen und einfallslos. Einzig Bob Dole, der alte Hase im Geschäft, wußte, wie man die Sheriffs in New Hampshire für sich erwärmt: Er lud sie mitsamt Ehefrauen zu einem üppigen Steakessen ein. Nach diesem Abend war Stephen Hodges nicht nur vom Senator aus Kansas hingerissen, sondern auch von dessen Gattin Elisabeth, kurz „Liddy“ genannt. „Die würde eine tolle Präsidentin abgeben“, schwärmt der Sheriff.

Das sind erstaunliche Worte aus dem Munde eines eingefleischten Republikaners aus einem sehr kleinen und sehr konservativen Bundesstaat. „Hier“, sagt Hodges, „kann man auf jedes Männerklo gehen und hat gute Chancen, neben dem Gouverneur zu stehen.“ Daß mann beim gemeinsamen Abtropfen über den Wahlkampf und die Finanzierung neuer Polizeicomputer diskutieren kann, schätzt Stephen Hodges an diesem Bundesstaat, in dem er geboren und aufgewachsen ist.

Vor allem aber genießt es Hodges, für Bob Dole wichtig zu sein. Wie seine neun Kollegen muß sich Hodges alle zwei Jahre zur Wiederwahl stellen, was neben einer Hingabe an den Beruf des Ordnungshüters auch eine Begabung für Wahlkämpfe erfordert. Neun der zehn Gemeindesheriffs sind Republikaner. Alle neun haben sich in diesem Vorwahlkampf auf die Seite Bob Doles gestellt, was schwerer wiegt als all die Millionen Dollar, die sein Konkurrent Steve Forbes in Fernsehspots investiert hat.

Hier in New Hampshire wird Wahlkampf noch handwerklich betrieben. Wayne Vetter, Sheriff im benachbarten Rockingham County, ist berühmt für seine ehrenamtlichen Helfer, die in der eisigen Februarkälte Schilder mit dem Namen „Dole“ an Telefonmasten nageln oder in die Vorgärten williger Hausbesitzer pflanzen. Hodges hingegen würde gern seine ganz persönliche Siegesstrategie für Bob Dole anwenden: Bei den Sheriffwahlen in Belknap-County läßt sich Hodges regelmäßig sowohl auf die Bewerberliste der Demokraten wie der Republikaner setzen. In aller Regel gewinnt er beide „primaries“ – und tritt dann bei der Endwahl gegen sich selbst an.

Immerhin: Heute hat Stephen Hodges für Bob Dole einen besonderen Auftritt organisiert. Im Gemeindepark von Hodges' Heimatstädtchen Laconia darf Dole das jährliche Hundeschlittenrennen eröffnen, das als „Weltmeisterschaft“ angepriesen wird, weil außer US-amerikanischen auch kanadische Teilnehmer an den Start gehen. Etwa 150 Journalisten, darunter ein Dutzend Fernsehteams, verfolgen die Parade der Hundeschlittenführer, die allesamt dem Kandidaten zum Händeschütteln vorgeführt werden.

Nachdem die ersten vier Teams bei Minusgraden und eisigem Wind gestartet sind, brechen Dole und seine Entourage wieder auf. Ein paar frierende Viertklässler mit US-Fähnchen werden zurück in die benachbarte Schule geschickt, während der Kandidat auf dem Weg zum Auto jedem die Hand schüttelt, der sich in Reichweite befindet. Er streckt immer die Linke aus, der rechte Arm, durch eine schwere Kriegsverletzung verkrüppelt, steckt in der Tasche seines Anoraks. In der typischen Wahlkämpfertrance steht er da mit seinen gefärbten Haaren und seiner künstlichen Bräune, die seine 72 Jahre verbergen sollen, und murmelt mit seiner grummeligen Baßstimme: „Schön, Sie kennengelernt zu haben. Nette Hunde, wirklich nette Hunde.“ Stephen Hodges hält sich im Hintergrund und beobachtet die Szene zufrieden. Im Abendfernsehen wird das alles gut aussehen.

Doch das Abendfernsehen bringt schlechte Nachrichten. Bob Doles Vorsprung gegenüber seinen schärfsten Konkurrenten Pat Buchanan und Lamar Alexander schmilzt immer weiter. Auch bei einer Fernsehdebatte am Abend schafft Dole es nicht, sich von seinen Konkurrenten abzusetzen. Pat Buchanan wettert gegen Immigranten, Freihandelsabkommen und die Verschwörung von Bill Clinton, Bob Dole, der amerikanischen Banken und „Goldmann & Sachs“. Steve Forbes beschimpft Lamar Alexander als „Betrüger“. Lamar Alexander beschwert sich über die „Schmutzkampagnen“ der anderen Kandidaten und legt Bob Dole implizit nahe, sich aus Altersgründen aus dem Rennen zurückzuziehen. Dole nennt Buchanan einen Extremisten und Forbes einen Schlammschmeißer; Buchanan beschuldigt Dole, sämtliche Ideen von ihm zu klauen. Alan Keyes, der einzige Schwarze und politisch rechts von Pat Buchanan positioniert, deklariert alle Konkurrenten zu einem „Haufen Sozialisten“ und hält die Rettung des Landes für ausgeschlossen, wenn nicht Gottes Wille und die eheliche Lebensgemeinschaft wieder zum Fundament der Gesellschaft werden.

Es ist kein erhebendes Schauspiel vor den Augen der Bürger von New Hampshire, die sich viel darauf einbilden, alle vier Jahre mit den ersten „wichtigen“ Vorwahlen die Weichen für die Präsidentschaftswahlen zu stellen. Obwohl der Zwergenstaat mit seinen 1,1 Millionen fast ausschließlich weißen Einwohnern nicht gerade einen repräsentativen Querschnitt der US-Bevölkerung darstellt, gilt seit gut 40 Jahren das ungeschriebene Gesetz, daß niemand Präsident werden kann, wenn er nicht die „primaries“ seiner Partei in New Hampshire gewinnt.

Die Ausnahme von der Regel ist Bill Clinton, der hier 1992 hinter seinem demokratischen Konkurrenten Paul Tsongas Zweiter wurde. Doch dem Mythos von New Hampshire hat dies keinen Abbruch getan – und so sind wieder einmal sämtliche Hotels und Telefonleitungen durch Kandidaten, Demoskopen, Wahlkampfhelfer und Journalisten belegt. Etwa eine Woche lang darf sich New Hampshire für den Nabel der Welt halten.

Diese Aufmerksamkeit genießen ganz besonders die ehrenamtlichen Wahlkampfhelfer Pat Buchanans. In einem kleinen Büro in der Elm Street von Manchester, dem ehemaligen Zentrum der Textilindustrie, hat Pat Buchanan sein Hauptquartier aufgeschlagen. Von neun Uhr morgens bis spät abends sitzen hier seine Anhänger zwischen halbgeleerten Colabechern, Hot-dog-Resten, Papierstapeln, Telefonen und einem betagten Kopiergerät, registrieren Spendengelder und lecken täglich ein paar tausend Briefumschläge mit Wahlkampfpost an.

Die 74jährige Jean hat sich aus New York nach Manchester fahren lassen, bekam von der Wahlkampfzentrale einen Schlafplatz vermittelt – und faltet seit zwei Wochen in der Elm Street Flugblätter für Pat Buchanan. Jean ist Mitglied der „Christian Coalition“, doch es ist weniger Buchanans rabiate Rhetorik gegen Abtreibung, Homosexualität und Feminismus, die sie für ihn einnimmt, als seine eloquenten Anklagen gegen das Freihandelsabkommen Nafta, gegen Wall Street und die Banken, die auf dem Rücken US-amerikanischer Arbeiter Profite machen. „Dieses Land“, sagt sie „ist in einem jämmerlichen Zustand.“

Daß viele Menschen in New Hampshire diese Einschätzung teilen, scheint auf den ersten Blick verwunderlich. Schließlich ist die Arbeitslosenrate von über acht Prozent im Jahr 1992 auf knapp vier Prozent gefallen. Gleichzeitig fiel aber auch das durchschnittliche Reallohneinkommen für eine Familie in New Hampshire von 51.000 Dollar im Jahr 1989 auf 43.000 Dollar im Jahr 1994. Wie Bill Clinton 1992 spricht auch Buchanan dieses Problem immer wieder an, doch im Gegensatz zu dem „Demokraten“ verwebt er es in eine diffuse Bedrohung „von außen“. „Amerikaner befürchten,“ sagt der Ex-CNN-Kommentator, „daß ihr Land an irgendeine neue Weltordnung verkauft wird.“

Dagegen empfiehlt er Protektionismus und einen „Stahlzaun um das ganze Land gegen illegale Immigranten“. Das gefällt den „volunteers“ in der Elm Street. Bob Dooley etwa, ein freundlicher Mittsechziger, will eine starke Führungspersönlichkeit im Weißen Haus, einen wie Buchanan, der sich nicht wie Bill Clinton ständig für etwas entschuldigt. Auch nicht dafür, daß sein stellvertretender Wahlkampfmanager Larry Pratt in den letzten Jahren mindestens zweimal als Redner auf Veranstaltungen rechtsradikaler Organisationen aufgetreten ist.

Doch das Etikett des Extremisten scheint Buchanan zumindest in New Hampshire nicht zu schaden. Eher muß sich schon Bob Dole Sorgen machen, als Liberaler zu gelten, weil er als Senator im US-Kongreß mehrfach Steuererhöhungen zugestimmt hat. Das kommt in New Hampshire gar nicht gut an, wo es weder eine Einkommen- noch eine Mehrwertsteuer gibt, und die größte Zeitung der Region, der Manchester Union Leader jedem politischen Kandidaten eine quasi eidesstattliche Erklärung abverlangt, an diesem Zustand nie etwas zu ändern. Sehr zum Verdruß Doles hat sich der Union Leader auf die Seite Buchanans gestellt.

Sollte sich eine Mehrheit der republikanischen Wähler in New Hampshire morgen dem anschließen, dann wäre nicht nur Bob Dole schwer erschüttert, sondern auch Stephen Hodges. Der möchte, daß seine Mitbürger der Nation einmal mehr zeigen, daß in New Hampshire Weichen gestellt werden. Denn nach dem Vorwahltag „interessiert sich die nächsten vier Jahre lang doch keiner mehr für uns“. Das stimmt nicht ganz. Am 5. November werden die 30 Wahlberechtigten von Dixville Notch im Norden New Hampshires wie bei jeder Präsidentenwahl als erste kurz nach Mitternacht ihre Stimmen abgeben. Die Auszählung dauert etwa zwei Minuten. Sollten die Republikaner hier nur 90 Prozent erreichen, käme dies einer schlimmen Schlappe gleich.