: Redaktionen sind keine Hilfspolizei
Verstoß gegen Informations- und Pressefreiheit: Die taz legt Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Immer häufiger bekommen Redaktionen Besuch von Staatsanwälten ■ Aus Berlin Wolfgang Gast
Zuletzt traf es das Solinger Tagblatt: Auf der Suche nach Belastungsmaterial gegen Demonstranten, die im März vergangenen Jahres eine Sitzung des Solinger Stadtrates gestört hatten, beschlagnahmten Polizei und Staatsanwaltschaft am Montag vergangener Woche Negative aus dem Archiv der Redaktion. Die Zeitung verweigerte zunächst die Herausgabe der Fotomateralien, doch die Fahnder hatten einen richterlichen Beschluß zur Sicherstellung bereits in der Tasche. Um den staatlichen Zugriff auf die Medien wenigstens einzuschränken, zieht die taz vor das Bundesverfassungsgericht. Gegen eine ähnliche Beschlagnahmeaktion im September hat sie jetzt Beschwerde beim obersten Gericht erhoben.
Immer häufiger versuchen Polizisten und Staatsanwälte, Redaktionen zu Hilfsarbeitern bei der Strafverfolgung zu machen. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt verschieben die Ermittlungsbehörden das ohnehin schon komplizierte Verhältnis zwischen Berichterstattung und Strafverfolgung systematisch zu ihren Gunsten. In den letzten Jahren häuften sich die Eingriffe in die Pressefreiheit sowie die Übergriffe auf Medienleute. Die Mittel reichen von der einfachen Behinderung der Berichterstattung (etwa durch Absperrungen bei öffentlichen Ereignissen) über Hausdurchsuchungen und Beschlagnahme von Rechercheunterlagen und Bekennerschreiben bis hin zur Körperverletzung bei Kameraleuten.
Der Eingriff in die Pressefreiheit traf wiederholt auch die taz. Die Redaktion hatte am 18. September letzten Jahres Auszüge aus einer Erklärung der Berliner Gruppierung „K.O.M.I.T.E.E.“ veröffentlicht. Darin hatten sich die Linksradikalen zu einem fehlgeschlagenen Sprengstoffanschlag auf das gerade fertiggestellte Abschiebegefängnis in Berlin-Grünau bekannt und als Konsequenz aus dem „Debakel“ die Selbstauflösung der Gruppe verkündet. Um das Original des Bekennerschreibens für die kriminaltechnische Untersuchung sicherzustellen, ließ die Karlsruher Bundesanwaltschaft am 29. September außer den Redaktionsräumen auch die Privatwohnungen zweier Redakteure durchsuchen. Ähnlich erging es der jungen Welt, die das Schreiben ebenso dokumentiert hatte.
Eine Beschwerde beim zuständigen Bundesgerichtshof wurde Ende des Jahres abgewiesen. Der dritte Strafsenat des BGH erkannte in seinem Beschluß zwar an, daß es ausgehend vom Grundrecht der Meinungsfreiheit ein journalistisches Zeugnisverweigerungsrecht und daraus abgeleitet auch eine „Freistellung von Beschlagnahmen“ für Medien gibt. Nur sollte das im vorgetragenen Fall nicht gelten. Die Pressefreiheit finde ihre Grenzen dort, heißt es in dem Beschluß vom 24. November, wo sie „auf das Interesse an der möglichst vollständigen Aufklärung und der gerechten Ahndung schwerer Straftaten trifft“. Wurde früher schon bei Durchsuchungen von Zeitungs-, Rundfunk- oder Fernsehredaktionen auf juristisch fragwürdige Argumentationen zurückgegriffen – der dritte Strafsenat stellt diese in den Schatten.
Die Polizeiaktion von Ende September wurde auch damit gerechtfertigt, „daß es sich bei der Abfassung der Erklärung und deren Weitergabe an die Presse um eine [...] Aktion zur Täuschung der Strafverfolgungsbehörden mit dem Ziel handelt, den Tatverdacht von den Beschuldigten abzulenken“. So dürftig wie die Behauptung waren die dazu angeführten Indizien. Ermittelt wurde gegen drei Männer und eine Frau. Die beabsichtigte Täuschung soll dem BGH zufolge darin bestehen, daß die Gruppe sich selbst in dem Schreiben als eine „Männercombo“ bezeichnete.
In der Verfassungsbeschwerde rügt der Rechtsanwalt der taz, Hans-Christian Ströbele, einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Informations- und Pressefreiheit. Die Beschlagnahme verletze darüber hinaus auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ströbele stützt sich in seinem Schriftsatz unter anderem auf einen früheren Spruch des obersten Gerichtes vom 12. März 1982. Damals hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt: „Das Zeugnisverweigerungsrecht der Presseangehörigen beruht auf der Eigenart der Institution der freien Presse, die bestimmter Sicherungen bedarf, um ihre in der modernen Demokratie unabdingbare Aufgabe wahrnehmen zu können.“ Und um diesen Schutz der Medien sicherzustellen, argumentiert Ströbele, „muß sichergestellt sein, daß der Informant durch die Mitteilung an die Presse keinerlei Nachteile zu befürchten hat“. Gerade das Gegenteil sei der Fall, wenn Redaktionen per Gerichtsbeschluß gezwungen werden können, Originale zur kriminaltechnischen Ermittlung des Informanten herauszugeben.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH setzt der bloße Besitz solcher Dokumente Redaktionen der Gefahr einer Durchsuchung und Beschlagnahme aus. Das Verfassungsgericht aber hat den Medien wiederholt die Rolle zugewiesen, „Mißstände aufzuklären, an deren wahrheitsgemäßer Darstellung die Betroffenen kein Interesse zeigen“. Deshalb sei der Staat verpflichtet, „in seiner Rechtsordnung überall, wo der Bereich einer Norm die Presse berührt, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung zu tragen“. Der Besuch der Staatsanwälte in den Redaktionen dürfte mit diesem Postulat kaum zu vereinbaren sein.
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