Wir sind nette Leute“

Was unterscheidet Straight-Edge-Aktivisten musikalisch von anderen Hardcorebands? Wenig, gemessen an Shelters just erschienenen Album „Mantra“. Die Abweichungen sind so minimal wie die Hip Hop-Elemente in ihrer Musik. Auch bei Shelter geht's hart, schnell und straight zur Sache. Klar, kurz und pointiert wie die Lyrics war auch der einstündige Gig am Sonntag in der Markthalle. Fischte der Quickfisch-Support soundtechnisch eher im Trüben, bot Shelter klar vernehmliche Vocals zu ebensolchen Instrumentaldarbietungen. Weniger klar war indes die Grenze zwischen Aktivisten und Zuhörern – eben doch ein etwas anderes Konzert. Der Sturm auf die Bühne begann kurz nach dem ersten Riff, und weder Frontmann Ray Cappo noch Stringer Porcell oder Adam störten sich daran, daß zum Teil mehr Fans als Musiker über die Bühne tobten. Toleranz lautet Rays wichtigste Message, dicht gefolgt von Peace und „what's up?“. Unten, im zweidrittel gefüllten Saal hat man ihn verstanden. Die Stagediver wurden so behutsam auf Händen getragen, daß selbst zwei junge Frauen den Sprung wagten. Ihr Lohn: Ray widmete ihnen den nächsten Song. Ob er selbst seinen Texten stets gerecht werden kann, bleibt fraglich. So ist Komponist und Krischna-Jünger Cappo, der in seinen Songs vor dem vollkommenen „Surrender to your TV“ warnt, ein Interview ohne Tape und Technik eher suspekt. Zu viele verfälschte Zitate, „Misquotations“, wie er sagt. Auch bezüglich seiner Sektenzugehörigkeit gibt es für den Anhänger eines gewaltfreien Lebens- und Ernährungsstils einiges zu klären: „Bestimmte Prinzipien fließen in unser Leben ein. Diese Welt leidet unter einer materialistischen Kultur. Und vieles, was unter dem Namen Spiritualität läuft, landet wieder auf einer materialistischen Plattform. Kriege und Kreuzzüge sind nicht spirituell.“ Shelters Gesänge irgendwie auch nicht, wie ich finde. Aber das sollen sie auch nicht sein. „Mit dieser Musik sind wir aufgewachsen. Zur Spiritualität kamen wir erst später. Außerdem hocken wir nicht rum und meditieren, sondern wollen spirituelle Lösungen für materielle Probleme geben.“ Die Probleme, die mancher Veranstalter in der Vergangenheit mit Shelters Krischna-Verbundenheit hatte, scheinen indes passé. „Es gab bislang nur positive Reaktionen bei den Bookern. Außerdem sind wir freundliche, nette Leute.“ Mit Fanatismus hat Ray demgemäß wenig im Sinn. „Ich hasse Fanatiker. Wir wollen Spirituelles auf eine philosophische Art bringen. Fanatiker verstehen nichts von Spiritualität. Sie sind zu engstirnig und benutzen Religion als Flucht.“ Ganz nach dem Beatles-Motto „We can work it out“, eine bis dato nur auf der B-Seite einer Maxi veröffentlichten Cover-Version, die Ray mehr wegen des Textes als der Musik gemacht hat, sieht er auch den Effekt seiner Botschaft: „Du kannst etwas verändern. Das Erste, was Du tun mußt, um die Welt zu verändern, ist, Dich selbst zu ändern. Denn Du bist ein Teil dieser Welt.“

Anneli Dierks