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„Nur ein Text mehr in dieser Welt“

■ Gepflegter Auftakt zur abenteuerlichen Lesereise: Handke las aus seinem Serbien-Text

Auf den Februar-Plakaten des Thalia Theaters war die Lesung noch kommentarlos angekündigt worden: „Peter Handke liest aus Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“. An der Abendkasse hieß es dann schon deutlicher: „Peter Handke liest aus seinem umstrittenen Reisetagebuch Eine winterliche Reise...“. Und obgleich Umstrittenheit in diesem Fall nicht unbedingt Gütezeichen ist – man drängelte sich um Eintrittskarten.

Voller Zurückhaltung betrat Handke an diesem Sonntag abend die Bühne, begann nach dem freundlichen Applaus der rund 1000 Besucher seine Lesung ohne vorherigen Gruß. Erst eineinhalb Stunden später war er fertig, und am liebsten hätte er sogar den ganzen Text gelesen, wie er anschließend erklärte. Die Kürzungen habe er genau überlegt, um der Gefahr der Verfälschung zu entgehen. Das Publikum fand das, was es hörte, trotzdem wenig skandalös. Schweigend hörten alle zu, und auch nach der Lesung klatschten sie bemerkenswert heftig. Bemerkenswert, weil Handkes Verteidigung der serbischen Zivilbevölkerung, die provokanten Bemerkungen über bosnische „Muselmanen“ und vor allem seine Schelte für Balkan-Reporter seit Wochen Diskussionsthema in Medien von FAZ bis taz, von Zeit bis Spiegel sind.

Nach der Lesung versuchte Jürgen Busche, neuer Chefredakteur der Wochenpost, ein Bühnen-Gespräch mit Handke zu führen. Im vergangenen Dezember hatte Busche noch in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung die Veröffentlichung der Serbien-Reportage unterstützt. Er stellte gleich klar, daß es ihm nicht darum ginge, die Argumentationen der Kritiker zu diskutieren – „dann müßte ich im Duett mit Handke singen“. Also stellte er mutmaßlich unverfängliche Fragen, zum Beispiel nach literarischen Kunstgriffen in dem Text.

Doch Handke wollte argumentieren, er wollte das heiße Eisen anfassen: „Ja, an zwei bis drei Stellen bin ich provokant, ich gebe mich preis. Ich mag mich gern verletzlich und angreifbar machen.“ Eine „Erzählung“ sei sein Text, „doch ich hätte nicht unbefangen anfangen können, über Serbien zu erzählen. Gern wäre ich ein reiner Erzähler, aber das konnte ich hier nicht sein. Ohne Medienkritik hätte ich nicht über Serbien schreiben können.“ Ansonsten ist es ihm wichtig, vor allem Künstler zu sein: „Schönheit ist nicht nichts – besonders wenn sie sich aus einer Grübelei ergibt. Ich bin nicht auf viel mehr aus.“ Auch sei er sich im Klaren, daß er nur wenig mit dieser Literatur bewirken könne: „Alles geht jeden Tag in der üblichen Weise weiter. Es ist ja nur ein Text mehr in der Welt.“ Für viele dieser Erklärungen bekam Handke erneuten Beifall, und nur wenige Buhrufe drangen durch den Schlußapplaus, vor dem er noch einmal ein „klares Gewissen der Wahrhaftigkeit“ von Medienmenschen gefordert und deren „käufliches Halbwissen“ verurteilt hatte.

Seit über 20 Jahren war dies die erste große Lesung Handkes. Er selbst äußerte dazu, er habe früher keine guten Erfahrungen mit dem Vorlesen gemacht und nun – nach dem ganzen Medienrummel – zum ersten Mal das Bedürfnis verspürt, sein Denken und Schreiben öffentlich vorzutragen. Keine Selbstverteidigung also, sondern das Angebot eines, wenn auch nur angedeuteten, Austausches – das beabsichtigte Handke mit seinem Auftritt. Sicher bewegte ihn aber auch die Überlegung, daß sehr viele Beobachter der Textkritik – und sogar manche Kritiker selbst – die Reportage nicht vollständig kennen. Immerhin war sie bis zur Auslieferung des Buches in der vergangenen Woche nur in zwei Ausgaben der Süddeutschen Zeitung erschienen.

Als Erfolg der Lesung ist deshalb mindestens zu werten, daß am Bücherstand im Thalia Theater 70 Exemplare der „winterlichen Reise“ gekauft wurden. Wenn der Verkauf und der Besuch der Lesungen – in den kommenden Wochen in Frankfurt, München, Wien, Klagenfurt und Ljubljana – so weitergehen, wird das Lesepublikum sich endlich ein eigenes Bild machen. Mal sehen, ob das den Streit neu belebt.

Nele-Marie Brüdgam

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