: Der Kapitalismus ehrt seine Künstler
■ Sigmar Polke in der Weserburg: Provozierendes aus den 60ern, endlich gezähmt
Wie die Trophäen einer Großwildjagd sollten die teuren Stücke präsentiert werden. Die erlegte Beute: der „Kapitalistische Realismus“, wie ihn Sigmar Polkes Bilder aus den 60ern repräsentieren. Die Jäger: die Herren der Deutschen Bank. Beizeiten haben diese, auf Anraten ihres umsichtigen Kunstbeirats, sich ein paar Polkes gesichert. Aus der clever eingekauften Deutsche-Bank-Sammlung geht nun eine kleine Polke-Schau auf Reisen – durch die Kassenhallen der Republik. Daß hier ein Künstler, der seine Kunst einmal als listige Attacke gegen die Wirtschaftswunderwelt verstand, ausgerechnet in der Bank seinen späten Ehrenplatz finden soll – das ist ein hübsches Detail, das die kunstsinnigen Banker freilich nicht zu hoch hängen wollen. Ganz hat das perfide Kunststück ja auch nicht geklappt. Zwar ist die Polke-Schau jetzt auch bei der Bremer Bankfiliale angekommen – aber diese hat zu. Wegen Umbau. Als Ausweichquartier dient nun: ein Kunstmuseum. Die Deutsche Bank zeigt seit gestern Sigmar Polke im Neuen Museum Weserburg.
Schade. Denn das hätte eine reizvolle Begegnung werden können: Polkes Motive aus dem Warenkatalog, auf goldglänzendes Geschenkpapier gemalt, umgeben vom dezenten Pomp der Schaltenhallen. Heiteres Geldgeklingel gegen anarchische Kunstgedanken. Vielleicht wäre durch diese Reibungsenergie etwas von der Widerborstigkeit, die Polkes Kunst auszeichnet, noch einmal aufgeblitzt. Nichts davon ist bei der jetzigen Präsentation im Museum zu spüren. In den zeitlos weißen Räumen der Weserburg wird Polkes Kunst der letzte Rest an Leben ausgetrieben.
Der Kitsch der deutschen Kaufhausherrlichkeit lieferte Polke das Material für seinen Spott. Blümerante Vorhangstoffe, pastellige Tapeten und Duschvorhänge bildeten den Malgrund. Darauf setzte Polke, Schicht um Schicht, Figuren aus Werbe-Illustrationen, Rätselbildern und was an Trivialem sonst noch gerade in Mode war. Eine deutsche Pop-Art – allerdings nicht ganz so dekorativ wie bei den erfolgreichen US-Kollegen Lichtenstein & Warhol. Deren Abziehbilder der amerikanischen Volkskultur bewegten sich auf einem schmalen Grat zwischen Verballhornung und Huldigung: Warhols knallbunte „Marilyn“-Drucke dienen letztlich wieder dem Marilyn-Mythos und dürfen deswegen als Poster in der Küche prangen. Die Volkskultur der deutschen 60er Jahre aber hat nichts von annähernd bleibendem Wert hervorgebracht. So blieb auch Polkes Kunst bisher der Kultstatus erspart. Die Pastelltöne, in die er seine Bilder badete, von bastgrau bis mausgrün, lassen heute eher erschaudern: Sowas kommt in keine Küche mehr.
Aber nicht nur der Reiz der Formen ist verblichen. Auch der „ironische Vorbehalt“, wie Martin Henschel es im Katalog nennt, kann im Ernst niemanden mehr verunsichern. Zu offensichtlich liegen Polkes Kunstgriffe zutage: die Montagen aus Schablonenfiguren und hübschem Verpackungsmaterial, die Verkitschung des Kitschigen, das Verschrägen der Alltagsästhetik, die feierliche Erhöhung des Trivialen zum Kunstwerk. All das liegt fast 30 Jahre zurück. Längst ist die Karawane weitergezogen, haben sich die Bilder und Gebräuche der Massenkultur verändert – die Medienstrategien, würde man heute wohl sagen. Gegen die wirken Polkes Pointen nur noch platt.
Oder sogar wieder ganz nett. Denn im Museum, hinter abgehängten Fenstern, macht sich das gut Abgehangene recht gediegen. Das olle Goldpapier, auf das Polke seine Witzfiguren malte: Hier erstrahlt es in festlichem Glanz. Auch Polkes wild gemalte Rasterpunkte sind in diesem Ambiente ganz und gar nicht mehr irritierend. Seine „Kallablüte“ wirkt in ihrer 96er Präsentation wie ein heiter flirrendes, harmloses Blumenstilleben. Harald Szeemann hatte schon lange ahnend geschwallt, Polke erinnerten ihn an „die Anmut und die Genremalerei der Venzianer“.
Vor Jahren stellte Polke seine Arbeit – und sich selbst – in einem Kaufhaus-Schaufenster aus. Eine subversive Geste, die sich an diesem Ort heute freilich nicht wiederholen ließe. Im Museum aber verlieren seine Bilder den letzten Funken Ironie. Jetzt darf nur noch gelehrt geplaudert werden. Dann doch lieber: Polke in der Bank. Thomas Wolff
Sigmar Polke, bis 3. März im Neuen Museum Weserburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen