Taipeh Teenage Riot

■ Edward Yangs Jugenddrama „Mahjong“ (Wettbewerb)

Depressive Teenager, deren Sprache kaum über ein wütend zwischen den Lippen hervorgeknülltes „Fuck“ reicht, bevölkern derzeit die Kinos. Man hat es in Larry Clarks „Kids“ gesehen, in Linklaters „Before Sunrise“ und auch in „La Haine“ — wenn Du nicht mehr weiter weißt, filme einen Jugendkreis.

Auch der taiwanesische Wettbewerbsbeitrag „Mahjong“ von Edward Yang hat das Phänomen der Generation X eifrig studiert. Eigentlich stammt der Regisseur aus einer halb konfuzianisch, halb christlich und vor allem national eingestellten Familie aus dem chinesischen Mittelstand, die nach Ende des Bürgerkrieges 1949 auf die Insel flüchtete. Dann kam das Wirtschaftswunder, die Anbindung an Europa und Amerika, und jetzt hat man schwer daran zu nagen, daß die Metropole Taipeh als Futtertrog der umgeschichteten Weltmärkte herhalten muß. Als wäre das nicht genug Schlamassel, würde sich auch die Volksrepublik gerne bald mit Taiwan wiedervereinigen.

Das alles hat Yang im Kopf, wenn er einen schmächtigen Skater namens Little Buddha zur verschreckten Französin Marthe sagen läßt: „Was, Du willst nicht mit mir ficken. Du bist aber mit meinem Kumpel gekommen. Wir sind wie eine Familie, und du willst nur einen lieben, um uns auseinanderzureißen. Bist wohl Kommunist oder was?“ Oder so ähnlich.

Die Kids in „Mahjong“ jedenfalls treiben recht wirr und ziellos zwischen korrupten Bauherren, der Mafia, dem ersten Kuß und der großen Liebe dahin. Das Verderben, das über alledem wie eine lange Regenzeit zu toben scheint, kommt vom Kapitalismus. Der Wohlstand bringt schlechtes Stahl- Design, Hard-Rock-Cafes mit unnützem Beatles-Nippes und tiefe Einsamkeit, über die kein Geschlechtsverkehr — auch nicht zu dritt oder viert — hinwegtröstet. Nach Konfuzius, Mao und Le Duc-To mißtraut man der letzten Abfahrt Richtung Genuß und will doch immer nur das eine.

Damit man nicht allzu schnell das Interesse an dieser Geschichte um schratige Figuren verliert, die interesselos übereinander hersteigen, hat Yang eine Gangsterstory beigemischt: Der Vater von „Red Fish“, dem Führer der kleinen Jungsbande aus Stechern und Buddhisten, wird von Killern gesucht, weil er Schulden hat. Die Schulden, folgert Red Fish, kommen nur davon, weil der Alte sich eine Mätresse gehalten hat. Auch Mutti denkt nur an ihre Shopping-Tour nach Paris. Frauen sind schlecht. Vor solchen Versuchungen hält sich „Red Fish“ fern, statt die Französin flachzulegen, will er lieber an ihr verdienen.

Vor der Prostitution aber rettet das aus London (wegen einer dummen Liebesaffäre mit einem englischen Architekten, der in Taiwan Geschäfte macht) per Billigflug angestrandete und zudem schwangeren Au-Pair-Mädel: eine aufrechte Taiwanesin. Luen Luen sieht an den Komplikationen zwischen Fern-Ost und West vorbei und hinein in Marthes kleines Herz, und erkennt, daß sie Liebe braucht und will, ja will. Es werden noch verschiedene Wohnungen aufgesucht, in denen asiatische Mätressen an den kleinen Jungs fingern oder Väter sich mit Lehrerinnen vergiften, weil das alles so unerträglich ist mit der taiwanesischen Zukunft. Die Kargheit dieser Zimmer erinnert zum Glück an die ruhelosen Trips durch Hotelzimmer und Appartments aus Godard-Filmen der sechziger Jahre. In gewisser Weise endet „Red Fish“ in „Mahjong“ ähnlich wie dessen Helden. Harald Fricke

„Mahjong“, Taiwan/China 1995, 121 Min, Regie: Edward Yang. Mit Tang Consheng, Ke Yuluen

Heute um 9.30 im Royal Palast, um 18.30 Uhr in der Urania, um 22.30 Uhr im International