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■ Amerikanische Pay-Radio-Anbieter wollen Deutschland erobern: mit Dutzenden von Musikprogrammen im Abo

Die öffentlich-rechtlichen Sender haben eine neue Marktlücke geschaffen: Eifrigst bemühen sie sich, eine Radiowelle nach der anderen dem Durchschnittsgeschmack („Hits und Oldies“) anzupassen. So werden Argumente wie „keine Unterbrechungen durch ewig ,quäkende‘ Moderatoren, keine Werbeunterbrechung, Musik nach individueller und aktueller Vorliebe“ zum Trumpf in der Hand von neuen Pay-Radios.

Gleich zwei große amerikanische Anbieter wollen jetzt Deutschland erobern: Music Choice Europa (MC Europe) und Digital Music Express (DMX). Zunächst rund 30, später bis zu 90 thematisch gegliederte Musikprogramme können bereits seit Ende August 1995 via Satellit in digitaler Qualität empfangen werden. DMX zum Beispiel wird hierzulande durch ein Gemeinschaftsunternehmen mamens Selco von Pro7 und Rupert Murdoch vermarktet. Das kostet die Satelliten- Radio-Nutzer 19,80 Mark im Monat, das spezielle Empfangsgerät muß für rund 800 Mark gekauft werden.

Die beiden Pay-Radio-Systeme sind sich sehr ähnlich: Von Abba bis Frank Zappa, von zünftiger Volkmusik bis zu mexikanischer Mariachi-Musik werden Nonstop- Spartenprogramme angeboten. Jedem Hörer sein Pläsier – ob alternativer Rock oder türkische Schlager. Auf dem Display der Fernbedienung erscheinen der Titel des aktuellen Liedes, der Künstlername sowie Zusatzinformationen zum Song. Allerdings gibt die Fernbedienung keine Auskunft über das nächste Lied, „denn wir wollen verhindern, daß der Kunde sein Aufnahmegerät in Habachtstellung bereithält und die vorangekündigten Hits womöglich digital mitschneidet“, erklärt Stuart Graber, Geschäftsführer von MC Europe.

Insgesamt sind dies bei MC Europes 44 Kanälen pro Tag rund 18.000 verschiedene Titel – für 22 Mark monatlich im Abo. Im Schulterschluß mit der Deutschen Telekom hat MC Europe, das von den Plattengiganten Time Warner, Sony und EMI Music betrieben wird, auch schon den Weg in die deutschen Kabelnetze gefunden. Die in Hessen ausgestellte Lizenz gibt MC Europe die Möglichkeit, 290.000 HörerInnen in Frankfurt und Umgebung zu erreichen.

Ein weiterer Mosaikstein in der Promotion von MCE ist die Zusammenarbeit mit dem Hamburger Abosender Premiere. Für ein Kölner Pilotprojekt will man Pay-TV und Pay-Radio in einem Paket anbieten: „Wir wollen prüfen, ob die gemeiname Konsumentensprache für Pay-Radio und Pay-TV funktioniert“, erklärt der für Deutschland verantwortliche MCE-Manager Daniel M. Schmid.

Doch werden auch kritische Stimmen laut. Thomas M. Stein, Vorsitzender des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft und Geschäftsführer der BMG-Ariola: „Eine CD kostet im Handel 30 bis 40 Mark, und nun bietet man 44 Kanäle für um die 20 Mark monatlich an. Unter diesen Umständen wird sich der CD-Umsatz halbieren. Wir als die Lieferanten der Software müßten also wesentlich mehr an Lizenzgebühren bekommen, um unsere Einbußen aufzufangen. Würden wir ab morgen keine CD mehr produzieren, könnten die Pay-Radios auf dem Kamm blasen!“

Daß damit eine direkte Konkurrenz zur Plattenindustrie entsteht, ist von den Major-Labels nicht beabsichtigt. Trotzdem sieht Hans- Herwig Geyer von der Gema Gefahren für die Musikurheber aufkommen: „In Deutschland wird der Verkauf von Tonträgern zurückgehen, deshalb sehen wir im Pay-Radio einen intensiven Eingriff in die Rechte unserer Mitglieder.“ So will die Gema von Pay- Radio-Anbietern weitaus höhere Gebühren als von herkömmlichen Radioanbietern verlangen. Geyer warnt vor der Möglichkeit der Musikpiraterie und des aufkommenden Schwarzhandels, katalysiert durch Pay-Radio. Und Stein drängt als Verbandsvorsitzender der Phonographischen Industrie auf eine Änderung des Urheberrechts – zum Beispiel eine dreimonatige Sperre für neue Musiktitel in den Radios. Pikantes Detail: Ausgerechnet Steins Firma, die BMG, ist als einziger großer Musikkonzern nicht an einem Pay- Radio-Anbieter beteiligt.

Kritiker befürchten außerdem, das Pay-Radio werde den öffentlichen und den werbefinanzierten Rundfunk Reichweite kosten und den CD-Verleih das Geschäft – letztlich also auch Arbeitsplätze. Jedenfalls nähert sich die Teilung zwischen Programmproduktion und Veranstaltern damit, wie schon beim Fernsehen, dem Ende: Die Industrie übernimmt auch die publizistische Verwertung. Doch DMX-Gründer Jerry Rubinstein wiegelt alle Befürchtungen ab: „Musik ist heutzutage ein Lifestyle-Zubehör für das Heim geworden, wie Sofakissen, gerahmte Drucke oder Kaffeetische mit Glasplatten.“ Carsten Heeren