"Oft hatte ich starken Durst"

■ Trotz des anstrengenden Arbeitsrhythmus versuchen auch viele in Deutschland lebende Muslime, ihre religiösen Pflichten während der Fastenzeit zu erfüllen

Der Ramadan wird auch unter den Muslimen in Deutschland praktiziert. Trotz des anstrengenden Arbeitsrhythmus versuchen viele von ihnen, ihre religiösen Pflichten zu erfüllen. Mehmet Gülbay zum Beispiel fastet seit seiner Kindheit. „Ein guter Freund meines Vaters gab mir für jeden Tag, an dem ich fastete, 2,5 Lira. Das war damals viel Geld. Wir Kinder haben uns darüber riesig gefreut. So habe ich das Fasten kennengelernt und gemerkt, wieviel Mühe und Geduld damit verbunden sind“, sagt der 29jährige Türke. Er hat jeden zweiten oder dritten Tag gefastet. „An diesen Tagen konnte ich das Fastenbrechen kaum abwarten, weil ich abends mein Geld bekam“, erzählt Gülbay.

Der gelernte Kaufmann lebt erst seit drei Jahren in Deutschland. Im Rahmen der Familienzusammenführung zog er aus Istanbul zu seiner Frau Hülya nach Berlin. „Der Ramadan hat einen besonderen Wert, weil während des Ramadan in jedem Haushalt große Aufregung herrscht. Bevor der Fastenmonat beginnt, werden sorgfältig große Spezialeinkäufe gemacht. Während des Ramadan werden Festessen gegeben, und die Leute besuchen sich gegenseitig. Die Menschen fühlen sich wohler“, erzählt Mehmet Gülbay.

Der Ramadan bringe eine gewisse Ordnung und Disziplin ins Leben der Gläubigen. Die Zeiten des Fastenbrechens und des Sahur seien festglegt. In der Regel laden gutsituierte Leute die Armen zum Fastenbrechen ein und tun ihnen etwas Gutes. Damit werden die Nachbarschaftsbeziehungen enger, und es entsteht eine starke Gemeinschaft. „Es ist ein sehr schönes Ereignis, das die Menschen zusammenbringt. Während des Ramadan werden die Unterschiede zwischen den Menschen aufgehoben. Jeder versucht, alles mit den anderen zu teilen.“

Auch für Hülya Gülbay hat der Ramadan eine große Bedeutung. Sie hat mit acht Jahren ihren ersten Versuch gestartet. Am Anfang waren die Eltern dagegen, aber sie hat trotzdem gefastet. Als sie zwischendurch Durst hatte, ging sie zu ihrer Mutter und bekam etwas zu trinken. Anschließend hat sie wieder angefangen zu fasten. „Manchmal durfte ich auch frühstücken und Mittag essen. Abends saß ich dann mit den anderen am Tisch und habe mit einer Olive mein Fasten gebrochen“, erinnert sich die 30jährige Arzthelferin. „Es war etwas gemogelt, aber das ist ja auch kein Zwang gewesen.“

Inzwischen ist Hülya Gülbay selbst Mutter geworden. Zum Iftar bereitet sie für ihren Mann und ihre fünfjährige Tochter jeden Abend verschiedene Spezialitäten zu. „Man kann spezielle Gerichte wie gefüllte Weinblätter oder Auberginen machen“, erzählt sie. Diese bedeuteten zwar mehr Arbeit, aber während des Ramadan soll „alles noch schöner sein“. Danach trinkt die Familie Tee oder Kaffee und ißt dazu die türkischen Nachspeisen „Baklava“, „Revani“ oder „Bülbül Yuvasi“.

Im Morgengrauen stehen die Gülbays auf, um das Sahur vorzubereiten. Noch einmal wird der Tisch gedeckt, und das Paar nutzt die letzte Gelegenheit, sich satt zu essen. Einige Stunden später beginnt die Arbeit. Ist es nicht schwierig, den ganzen Tag durchzuhalten? „Nein“, antwortet Hülya Gülbay, durch den Glauben habe man auch die Geduld. Auf die Frage, ob es schon mal Momente gegeben hat, wo sie kurz vor dem Aufgeben stand, sagt die junge Mutter: „Manchmal hatte ich starken Durst, aber ich habe mich bemüht, den ganzen Tag auszuhalten. Man ist dazu nicht gezwungen, aber man will den ganzen Monat durchhalten.“

Obwohl die Familie hier viele Freunde und Bekannte hat, vermißt sie die Ramadan-Traditionen in der Türkei. Dort kann man den Fastenmonat viel intensiver erleben, sagen die Gülbays. Deshalb versuchen sie, öfters den Ramadan dort zu verbringen. Ayhan Bakirdögen