Vom Fasten und Fastenbrechen

Sobald der Ramadan beginnt, füllen sich die Moscheen. Die Regeln des Fastens sind im Koran festgelegt. Alte, Kranke, Reisende und Schwangere sind von dieser Pflicht entbunden  ■ Von Ayhan Bakirdögen

Neben dem Glaubensbekenntnis an den einen Gott, dem fünfmaligen täglichen Gebet, der Entrichtung der Armensteuer Zakat und der Pilgerfahrt in die heilige Stadt Mekka gehört das Fasten zu den fünf Säulen des Islam. Jeder gläubige Muslim sollte während des Fastenmonats Ramadan 30 Tage lang zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang keine Nahrung zu sich nehmen. Der Ramadan gilt im Islam als heilig, weil die Offenbarung des Korans in diesem Monat begann.

Nach islamischer Überlieferung überbrachte der Erzengel Gabriel in der „Nacht der Bestimmung“ dem Propheten Mohammad die erste göttliche Offenbarung. Im Koran wird diese Nacht so beschrieben: „Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate. Die Engel und der Geist kommen in ihr mit der Erlaubnis ihres Herrn herab mit jedem Anliegen. Voller Frieden ist sie bis zum Aufgehen der Morgenröte.“

Jeder Muslim, der das Pubertätsalter erreicht, ist verpflichtet, während des Ramadan zu fasten. Alte, Kranke, Reisende und Schwangere sind von dieser Pflicht entbunden. Die versäumten Fasttage sollten nach Möglichkeit später nachgeholt werden. „Das Fasten erfüllt eine wichtige soziale Funktion. Ein Mensch, der regelmäßig ißt und trinkt, kann sich nicht vorstellen, wie sich die Hungrigen und Durstigen fühlen. Erst wenn er fastet, das Gefühl von Hunger und Durst kennenlernt, kann er sich in die Lage der hungrigen und durstigen Menschen versetzen“, sagt der Imam der Sehitlik-Moschee in Berlin-Tempelhof, Mehmet Kara. So werde er für sie Mitleid empfinden und versuchen, ihnen zu helfen. Dadurch entstehe eine Brücke zwischen Armen und Reichen.

Die Armensteuer Zakat muß nicht unbedingt während des Ramadan entrichtet werden. Aber fast alle Muslime entrichten diese Steuer in diesem Monat. Damit können die Armen ihre Bedürfnisse erfüllen und ihren Familien ein besseres Leben ermöglichen. Auch das islamische Almosen Fitre sollte in diesem Monat gespendet werden. Unabhängig davon, ob einer fastet oder nicht, ob er alt ist oder jung, jeder muß sein Fitre spenden. Sogar für Kinder, die während des Ramadan auf die Welt kommen, müssen Almosen gespendet werden. Das Fitre wird pro Person festgelegt. In den letzten Jahren wurden in Berlin zehn Mark pro Person gespendet. Demnach muß eine fünfköpfige Familie 50 Mark an eine arme muslimische Familie spenden. Damit entsteht soziale Solidarität zwischen den Menschen.

Mehmet Kara sieht im Fasten einen weiteren Vorteil: „Viele Mediziner haben festgestellt, daß das Fasten positive Auswirkungen auf das Herz und Verdauungssystem haben kann“, berichtet der türkische Geistliche. „Die Ärzte bestätigen heute, daß fastende Menschen gesund leben, weil dadurch das Herz langsamer schlägt und sich erholt.“

Die Regeln des Fastens sind im Koran genau festgelegt. Auch der Prophet Mohammad hat sich ausführlich über die Fastenpflicht geäußert: „Wenn jemand daran glaubt und fastet, wird Allah ihm seine ganzen Sünden vergeben.“ In einem anderen Hadith, einem Ausspruch, sagt Mohammad, daß während des Ramadan die Tore der Hölle geschlossen und die Tore des Paradieses geöffnet werden. Außerdem werden im Fastenmonat die Teufel angekettet. Mehmet Kara hat dafür eine Erklärung: „Die meisten Menschen kommen außerhalb des Ramadan nicht in die Moschee. Sie finden keine Zeit oder sind einfach zu faul. Sobald der Ramadan beginnt, füllen sich die Moscheen. Die Menschen strömen in Massen, und die Teufel können sie nicht mehr davon abhalten.“

Gefastet wird vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. In dieser Zeit darf weder gegessen noch getrunken werden. Auch das Rauchen und die körperliche Liebe sind nicht gestattet. Sobald die Sonne untergeht, wird das Fasten gebrochen. Das festliche Abendessen Iftar sollte nach Möglichkeit mit Wasser oder einer Dattel eröffnet werden. Früher gingen in der Türkei Trommler durch die Straßen und riefen die Leute zum Fastenbrechen auf. „In vielen Moscheen gab es keine Lautsprecher“, erinnert sich Mehmet Kara. Kurz vor Sonnenuntergang haben sich die Kinder um die Moscheen herum versammelt und darauf gewartet, daß der Muezzin die Leute zum Fastenbrechen aufruft. Sobald der Muezzin mit dem Aufruf begann, rannten die Kinder nach Hause und teilten das ihren Eltern mit. Die Tische waren gedeckt, und alle haben mit großer Freude ihr Fasten gebrochen.

Inzwischen sind alle Moscheen mit Lautsprechern ausgestattet, damit jeder den Aufruf zu Hause hören kann. Außerdem werden die Aufrufe während des Ramadan vom Fernsehen live übertragen. Mehmet Kara findet diesen technischen Fortschritt positiv. „Die Wissenschaft und die Technik gehören zu den Grundlagen des Islam. Im Koran wird insgesamt 850mal auf Wissenschaft und Technik hingewiesen“, erzählt der Imam. In keinem Vers des Koran oder keinem Hadith des Propheten könne man irgendeine Aussage gegen die Wissenschaft oder Technik sehen, sagt Kara und gibt ein Beispiel: „Im allerersten Vers, der offenbart wurde, heißt es: ,lies‘. Allah sagt im ersten Vers nicht ,bete‘ oder ,faste‘. Er sagt auch nicht ,entrichte Deine Zakat‘ oder ,pilgere in die heilige Stadt Mekka‘, sondern er sagt: ,lies‘. Denn nur durch Lesen kann man alles erfassen. Deshalb verfolgen wir diese Entwicklungen mit Aufmerksamkeit und Freude und wollen, daß sie fortgeführt werden.“

Wie viele andere Moscheen hat auch die Sehitlik-Moschee während des Ramadan die Gläubigen zum Fastenbrechen eingeladen. Unabhängig von Nationalität und sozialem Status konnte jeder bei diesem Essen teilnehmen. In den letzten Jahren sind immer mehr Deutsche zur Sehitlik- Moschee gekommen, um mit den Muslimen das Iftar mitzuerleben. Nach dem Fastenbrechen wurden bis zum Nachtgebet verschiedene Predigten gehalten. Während des Ramadan müssen die Muslime nach dem letzten Nachtgebet noch ein Zusatzgebet verrichten. Danach geht die Gemeinde nach Hause. Im Morgengrauen, wenn man „einen weißen von einem schwarzen Faden unterscheiden kann“, folgt dann das letzte Mahl, das Sahur. Es soll helfen, den langen Fastentag besser zu überbrücken.