Macht und Ohnmacht

■ Eine Anthologie untersucht das Problemverhältnis „Mütter und Söhne“

Jeder Blick aus dem Fenster oder auf einen Spielplatz bestätigt, daß es auch heute noch fast ausschließlich Frauen sind, die sich um das Aufziehen der Kinder bemühen. Dieser Umstand läßt das Kind in einem großen Maß weiblicher Macht und Ohnmacht ausgeliefert sein. Das läßt die Frage nach dem Aufwachsen von Jungen unter den durch den Feminismus teils veränderten, teils gebliebenen Bedingungen aufkommen.

Die Journalistin Anette Garbrecht hat über die Beziehung von Müttern und Söhnen jetzt eine Anthologie herausgegeben, die nicht nur theoretische Ansätze bietet, sondern auch literarische und essayistische Beiträge enthält. Sowohl Mütter wie Evelyn Holst, Peggy Parnaß und Regula Venske als auch Söhne wie Wolfgang Welt, Götz Dahlmüller oder Jan Feddersen kommen zu Wort. Sie alle entstammen der Generation der jetzt 35-55jährigen.

Den gefühlssuperlativgetränkten Titel Mütter und Söhne – die längste Liebe der Welt hat sich gewiß kein Sohn ausgedacht. Denn ob „Liebe“ das kennzeichnende Gefühl dieser Beziehung ist und bleibt, darf nicht nur nach der Lektüre bezweifelt werden. Nicht von Liebe und Respekt sondern von Verachtung für gefühlskalte Sinnsprücheklopferinnen oder symbiotische Verschlingerinnen handeln die Beiträge der Söhne.

Das Haßpotential richtet sich auf die Trümmerfrauengeneration und nicht auf die der in dem Buch versammelten schreibenden Mütter. Deren Beiträge versuchen die schwierige Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz. Da das neuzeitliche Jungen-Mutter-Bewußtsein sich mitunter zur Selbstgefälligkeit steigert, bleibt abzuwarten, wie sich ihre Söhne, jetzt noch im Kleinkindalter, in ein paar Jahrzehnten äußern werden.

In den Interviews, die Harriet von Hantelmann mit Gretchen Klotz, Witwe von Rudi Dutschke und beider Sohn Hosea Che, inzwischen selbst Vater eines Sohnes, geführt hat, kommen Aussagen von Mutter und Sohn zusammen und – neben interessanten historischen Hintergründen – ein gelungenes Mutter-Sohn Verhältnis zutage.

Ulrike Schmauch stellt in ihrem differenzierten Text „Was geschieht mit kleinen Jungen“ die berechtigte Frage „Gibt es eine gesicherte männliche Identität?“ Die Antwort: Nein, doch während Weiblichkeit inzwischen als etwas anerkannt ist, das sich im Laufe des Lebens herausbildet, wird Männlichkeit für manifest gehalten. Die Autorin fordert, daß auch Jungen Phasen zugestanden werden müssen, in denen sie widersprüchliche Rollen ausprobieren können, wie es für Mädchen inzwischen selbstverständlich ist.

Als Ursachen für mütterliches Klammern, der Wurzel fast aller Leidensgeschichten, werden unterschiedliche Faktoren verantwortlich gemacht: Gesine Strempel führt es auf die Bedürftigkeit der Frauen zurück, die selbst zuwenig bemuttert worden seien. Oder zu wenig bevatert – wie andere meinen. Ulrike Schmauch hält das Maß, in dem die Mutter sich als Opfer von Männlichkeit empfindet, für die bestimmende Größe des Umfangs, in dem sie dafür bei ihrem Sohn Entschädigung sucht.

Fast unisono ist die Forderung aller nach einer stärkeren Rolle des Vaters, um den Frauen die alleinige Last, aber auch die Macht zu nehmen. Der Mangel des Buches, eine Menge verschiedener Text-Genres zu vereinen, die durch Unvergleichbarkeit eine kritische Analyse unmöglich machen, ist zugleich sein Plus: Es kann fortgeschrieben werden, es ist im wahrsten Sinne ein offenes Buch.

Julia Mummenhoff

Anette Garbrecht (Hsg.): Mütter und Söhne; Ingrid Klein Verlag, 234 Seiten, 34 Mark