„All das stimmt nicht“

■ Angeklagte zieht ihr Mordgeständnis zurück und beschuldigt den Freund

„Baby entführt und Mutter ermordet“ – „Mord, um ein Baby zu bekommen“ lauteten die Schlagzeilen zu einem schrecklichen Ereignis im Sommer letzten Jahres. Gestern stellte Staatsanwalt Frank Repmann vor der großen Kammer des Landgerichts die Anklage: Eine 49jährige Bremerin malaiischer Herkunft soll am 10. Juli 95 in ihrer Privatwohnung in Woltmershausen eine 30jährige Bekannte „zum Zwecke der Meditation“ an Händen und Füßen gefesselt, ihr dann einen Stoffballen um den Hals gelegt haben, bis der Tod eintrat – um das fünf Wochen alte Baby der Bekannten als ihr eigenes auszugeben. Die Malaiin wird des Mordes aus niedrigen Beweggründen angeklagt.

„All das stimmt nicht“, entgegnete die Frau gestern spontan vor dem Gericht. Kurz nach ihrer Festnahme, zwei Tage nach der Tat, hatte sie gegenüber der Polizei ein Geständnis abgelegt. Schon im Gespräch mit den psychologischen und medizinischen GutachterInnen war sie schon von dieser ersten Version abgewichen. Und gestern bei ihrer Anhörung im Gerichtssaal distanzierte sie sich vollständig von dem Mord.

Die 49jährige Frau beschrieb noch einmal ausführlich den Ablauf des 10. Juli und des folgenden Tages aus ihrer Sicht: Ihre Bekannte war mit dem Baby zu ihr nach Hause in die Butjadinger Straße gekommen, jedoch habe sie die Freundin nicht gebeten, den Säugling mitzubringen. Dann habe die Bekannte sie gebeten, ihr zum Zwecke eines buddhistisch angehauchten Rituals (genau konnte das nicht geklärt werden) Füße und Hände zusammenzubinden. „Ich hatte dann einen Blackout und habe meiner Bekannten einen Stoffstreifen um den Hals gelegt, jedoch nicht zugezogen.“ Obwohl sie ein bißchen wütend gewesen sei, weil die Freundin behauptet habe, sie würde nur ihren Sohn, das Baby, gernhaben, die schulpflichtige Tochter jedoch nicht. „Ich hatte in diesem Moment keine Gedanken“, sagte die Angeklagte wörtlich übersetzt. Anschließend sei der Freund der Malaiin nach Hause gekommen und habe gefragt: „Was ist geschehen?“ Sie habe geantwortet, „ich bin betrunken, ich habe mich gestritten, hilf mir mal“ und sei anschließend im Sessel eingeschlafen. Das Baby schlummerte einstweilen im ersten Stock der Wohnung.

„Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war das Baby mit meinem Freund auf der Couch. Ich fragte ihn ,Wo ist meine Bekannte?' - ,Auf dem Balkon', antwortete er. ,Warum hast du keinen Arzt gerufen?' fragte ich. Er sagte, er habe mir helfen wollen.“ Hier hielt der Dolmetscher ein und wies das Gericht und die Anwesenden eindrücklich darauf hin, daß das Malaiische wie das Indonesische keine Tempusangaben in den Verben besitzt. Dieser Satz der Angeklagten könnte also genausogut bedeuten: Er sagte, er wolle mir helfen.

Im Vernehmungsprotokoll der Polizei hieß es, die 48jährige, eine zur Tatzeit arbeitslose Krankenschwester, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt, spreche sehr gut Deutsch. Doch die Malaiin sagte, sie habe sich mit ihrem Freund, einem gebürtigen Polen, nur in gebrochenem Deutsch unterhalten. Deshalb bestand die Vorsitzende Richterin darauf, daß die Angeklagte vor Gericht vor allem in ihrer Muttersprache aussage. Doch immer wieder reagierte die Malaiin ungehalten auf die Übersetzung des Dolmetschers und beklagte sich, sie werde ständig mißverstanden.

Ausführlich wurde sie nach ihrem Lebenslauf befragt – nach ihrer frühen Heirat als 17jährige mit einem 16 Jahre älteren Mann, ihrer späteren Heirat mit einem Deutschen, nach ihrem Verhältnis zu ihrer Familie, zu ihren beiden erwachsenen Kindern. Sie berichtete, sie sei immer wieder geschlagen worden, war viel krank.

Den Vorwurf, sie habe ihrem letzten Freund vorgeschwindelt, daß sie knapp dreißig Jahre alt und von ihm schwanger sei, wies sie von sich. Er habe sich ein Kind gewünscht und an dieser Einbildung festgehalten. Kinderkleidung habe sie nur für ihre Enkelkinder in Malaysia gestrickt und ihrem Freund außerdem gesagt, daß sie womöglich in den Wechseljahren sei und deshalb ihre Regel ausbliebe. „Er war verrückt, er sagte jeden Tag, ,du bist schwanger', ich sagte, ,du spinnst ja'.“ – „Er war verrückt“ wurde für ihren Satz „er war nicht in Ordnung“ übersetzt.

Knapp sieben Stunden dauerte gestern die Anhörung der Angeklagten – vieles in ihren Ausführungen blieb, vielleicht auch durch das Sprachproblem, verworren. Unklar ist zum Beispiel, wie die Leiche von dem Balkon der Wohnung ins Treppenhaus gelangte, wo sie entdeckt wurde. Mit ihrer gestrigen Aussage hat die Angeklagte ihren Freund des Mordes beschuldigt – er ist als Zeuge in dem Prozeß geladen, der heute fortgesetzt wird.

sip