Die Natur wird vom Verkehr überfahren

Welche Route nimmt die „Nordtangente“? Das 300 Millionen Mark teure Ost-West-Verbindungsstück von Innenstadtring und Autobahn im Norden der Stadt stößt bei Anwohnern auf Ablehnung. Der genaue Verlauf der Trasse wird jetzt entschieden  ■ Von Kathi Seefeld

Die Nullvariante steht nicht mehr zur Debatte. 32,70 Meter breit soll sie werden, vierspurig mit Mittelstreifen, „eine Stadtstraße und Baumallee“, so Frank Jablonsky von der Bau- und Verkehrssenatsverwaltung. Rad- und Fußwege werde es geben, und über Lärmschutzwände sowie Zubringerstraßen bekam der „Aktionsausschuß Nord-Ost“, ein Zusammenschluß von Bürgerinitiativen im Nordosten der Stadt, erst später einiges zu hören.

Die Nordtangente, jene seit fast vier Jahren geplante tangentiale Ost-West-Verbindung zwischen Autobahn- und innerem Stadtring, erhitzt derzeit in Pankow, Weißensee und in Reinickendorf die Gemüter. Ursprünglich bis 15. Februar sollten die Betroffenen Änderungsvorschläge zur geplanten Trassenführung einbringen können. Nach dem Willen des neuen Senators für Stadtentwicklung, Peter Strieder (SPD), wurde der Termin bis zum 1. März verlängert.

Schon 1992 hatten im Zusammenhang mit der Aufstellung des Flächennutzungsplans 5.700 BürgerInnen vor allem aus Pankow und Weißensee gegen das Straßenbauvorhaben protestiert und sich aus ökologischen Gründen sowie wegen der massiven Zunahme des Ost-West-Verkehrs für eine Nullvariante ausgesprochen.

Ohne Erfolg. „Wer dagegen ist, bezieht eben keine Position“, meint der Pankower Bezirksbürgermeister Jörg Richter (SPD). Anders als seine Genossen aus dem angrenzenden Bezirk Reinickendorf hält er das 300-Millionen- Mark-Projekt für dringend erforderlich. Richter: „Die Fragestellung ist heute nicht mehr: Ja oder nein?, sondern: Soll es eine nördliche Umfahrung Rosenthals geben oder eine Trasse entlang des Nordgrabens?“

Die im Flächennutzungsplan verzeichnete ursprüngliche Nordgrabenvariante quer durch Rosenthal zog in den letzten Jahren zahlreiche Anwohnerproteste nach sich. Rund 50 Wohnhäuser hätten dafür abgerissen werden müssen. Fakten, aus denen sich im Herbst vergangenen Jahres hervorragend Kapital schlagen ließ: Wenige Wochen vor den Kommunalwahlen im vergangenen Oktober sollte auf Vorschlag des Bildungsstadtrates Alex Lubawinski (SPD) das Pankower Bezirksamt eine Erklärung abgeben, in der für eine nördliche Umfahrung Rosenthals Stellung bezogen wurde. Der Bürgermeister sollte darüber hinaus beauftragt werden, diese Entscheidung den betroffenen Senatsverwaltungen zur Kenntnis zu geben.

Für das Bezirksamt bindend war zu diesem Zeitpunkt allerdings immer noch ein Beschluß der Bezirksverordnetenversammlung vom Dezember 1993, wonach eine Nordtangente nicht gebaut werden sollte. Die Erklärung des Bezirksamts Pankow wurde dennoch, aber ohne die Zustimmung der damaligen Baustadträtin Claudia Nier (parteilos, für PDS), an den Senat weitergeleitet.

Die Pankower SPD verbuchte es als Erfolg, die Spaltung Rosenthals verhindert zu haben, und stellte ein Nachlassen der Verkehrsbelastungen für die Anwohner zahlreicher Pankower Straßenzüge in Aussicht. Senatsvertreter Jablonsky untermauert deren Hoffnung unter anderem mit dem Versprechen, daß der Bau der Tangente im Jahre 2010 zu Verkehrsentlastungen von teilweise mehr als 40 Prozent führen werde. Einer Argumentation, der sich Ex- Baustadträtin Claudia Nier so nicht anschließen will. Die Verkehrsprognosen, sagt sie, basierten auf alten Überlegungen zur städtebaulichen Entwicklung des Berliner Nordost-Raumes.

Die Dimension von Wohnen und Gewerbe sei durch den Senat Ende vergangenen Jahres deutlich zurückgeschraubt worden, betont auch die ehemalige Weißenseer Sozialstadträtin Claudia Hämmerling, die für die Bündnisgrünen jetzt im Abgeordnetenhaus sitzt. Es gebe weder konkrete Aussagen über die zu erwartenden Verkehrsmengen noch darüber, was Quellen und was Ziele des Verkehrs sind und sein werden. Ihrer Meinung nach ist es ausreichend, das bestehende Straßennetz auszubauen und verstärkt nach Wegen zu suchen, wie der öffentliche Personennahverkehr in der Region attraktiver gestaltet werden kann – etwa durch die Verlängerung der Straßenbahn von Reinickendorf nach Pankow und Weißensee.

Darüber hinaus könne der Lkw- Verkehr durch die Nutzung der ehemaligen Industriebahn deutlich reduziert werden. „Das vom Senat favorisierte Modell radialer und tangentialer Verkehrswege ist längst überholt.“ Statt für 300 Millionen Mark Landschaftsräume zu zerstören, sollte in den kommenden Jahren erst einmal Geld zur Verfügung gestellt werden, um grundlegende Erhaltungsarbeiten am Pankower Straßennetz durchführen zu können. „Jeder weiß, wo die Schlaglöcher sitzen. Doch statt der benötigten 12 Millionen Mark jährlich stehen nur etwa 6 Millionen zur Verfügung, um einen ordentlichen Zustand zu erhalten.“

Darüber hinaus seien aus haushaltstechnischen Gründen Straßenneubauprojekte zeitlich gestreckt worden. „Dort, wo jahrelang gebaut wird, kann der Verkehr natürlich auch nicht ordentlich fließen“, so Claudia Nier. Für Bürgermeister Jörg Richter sind das fadenscheinige Argumente, da die Gelder aus verschiedenen Töpfen kämen. „Der Bau der tangentialen Verbindung ist bereits vom Abgeordnetenhaus beschlossen worden.“

Richter appelliert an die Bürger, sich die Chance zur demokratischen Mitsprache nicht entgehen zu lassen und daher für den Bau der Nordtangente zu plädieren, deren Trasse nördlich von Rosenthal und entlang des Mauerstreifens verlaufen soll.