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Das Dorf mitten in deiner Stadt

■ „Wo ist mein Kater?“ von Cédric Klapisch (Panorama)

Wirf ihn einfach aus dem Auto“, empfiehlt der schwule Mitbewohner, als Chloé niemanden findet, der während ihres Urlaubs auf den Kater aufpaßt. Die alte Dame Renée schließlich erklärt sich bereit, und beim Abschied gibt sie Chloé noch mit auf den Weg: „Männer haben mich oft enttäuscht, Tiere niemals“. Aber als Chloé zurückkommt, ist der Kater weg, abgehauen durch das offengebliebene Küchenfenster.

Von da an ist nichts mehr, wie es war. Mit der Katze ist Chloés Sicherheit verschwunden, sie erträgt weder die Liebhaber ihres WG- Genossen, noch die Männer in den Kneipen, noch die Frauen, die sie wollen. Also richtet sie, während sie wochenlang nach dem Kater sucht, all ihr Begehr auf den grungigen Freak, der die ganze Nachbarschaft mit seinem Schlagzeug nervt. Der ist eine Enttäuschung, aber dann ist der Kater wieder da. Der Nachbar zieht aus, alle packen mit an, und Chloé verliebt sich. Das Gute liegt oft so nah.

Die Katzen- und Selbstfindung ist nur Anlaß für ein Hohelied auf die kleinen Pariser Viertel, auf das dörfliche Leben inmitten der Metropole, das sich Chloé erst erschließen muß, um wieder richtig leben zu können. Die alten Damen schließen sich zusammen, um den Kater zu finden, der leicht zurückgebliebene Dorftrottel zieht mit Chloé suchend herum. Beim Bäcker fragt man sie mitfühlend nach dem Verbleib des Katers. Jeder hilft jedem, man greift sich unter die Arme, anschließend gibt‘s einen Schnaps in der Eckkneipe, und eigentlich passiert gar nichts. Es gibt nicht die klitzekleinste Touristenansicht von Paris zu sehen, das einzige, was erkennenbar aufleuchtet, ist einer jener Stadtteilpläne, die an Metro-Eingängen stehen: Auf einem solchen wird Chloé gezeigt, wo die einzelnen Mitglieder der Alte-Damen-Miliz stationiert sind. Überall sind Baustellen, eine Kirche wird eingerissen, Leute ziehen weg, „sie werden vertrieben“, sagt Chloé. Im Szene- Café kostet der Kaffee zehn Franc, an der Ecke nur vier. An jedem Laden, an dem Madame Rene vorbei kommt, wird erörtert, was man dort früher einmal kaufen konnte: „Jetzt müssen wir in den Supermarkt“. Als Kontrast dazu arbeitet Chlo als Maskenbildnerin in einem Werbefoto-Studio, das mit grellen Farben und aufdringlicher Musik karikiert wird.

Ähnlich wie in „Smoke/ Blue in the Face“ wird hier eine innerstädtische Idylle beschworen, die lange verloren gegangen ist, nur das Erzähltempo ist enervierend langsam. Doch während Paul Auster und Wayne Wang behaupteten, Brooklyn sei auch in diesen modernen Zeiten noch das alte geblieben, nimmt Klapisch zumindest zur Kenntnis, daß sich das alte, gemütliche Paris nicht mehr restaurieren läßt. Die Hoffnung aber wird auch hier nicht gänzlich aufgegeben. Thomas Winkler

„Chacun cherche son chat“ (Wo ist mein Kater?), Frankreich 1995, 90 Min, Regie: Cédric Klapisch. Mit Garence Clavel, Olivier Py

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