Holocaust light

Wunderliches und Ärgerliches auf den Pressekonferenzen zu Michael Verhoevens „Mutters Courage“ und Andrzej Wajdas „Karwoche“  ■ Von Mariam Niroumand

Der Brechtsche Verfremdungseffekt, von ihm zärtlich V-Effekt genannt, ist, das muß man in aller Wehmut feststellen, recht sehr auf den Hund gekommen. Es darf sich heute schon V-Effekt nennen, wenn Babelsberg gezeigt wird, wenn einer deutsch spricht, der eigentlich ungarisch sprechen sollte, oder wenn ein Jude im Film Adolf heißt.

George Tabori war nicht bei der Pressekonferenz zu dem Film über seine Mutter, dem er doch — ein weiterer V-Effekt — durch seine lehrstückhafte Präsenz Opfer-Credibility und Würde verleihen sollte. (Warum Tabori sich überhaupt bereitfand, die Geschichte der hauchknappen Errettung seiner Mutter einem solchen Schmierenstück zuzueignen, ist eine ganz eigene interessante Frage, die man ihm nun leider nicht stellen konnte).

Michael Verhoeven wurde also gefragt, warum er nicht in Ungarisch drehen ließ. Und da stellte sich heraus, daß es daran lag, daß die meisten Schauspieler keins konnten. Aha! Good point! Überhaupt wurde in Englisch gedreht.

Warum er keinen Film über Bosnien gedreht habe? „Weil, das ist ja ein bißchen so wie mit Vietnam, man sieht immer diese schrecklichen Bilder im Fernsehen, aber mich interessieren uns, wir alle interessieren mich, und der einzelne Mensch“. Auf die Frage, warum er sich nicht entblödet habe, Claude Lanzmann zu zitieren (in der Szene mit dem Lokomotivführer, der die Halsabschneidegeste macht), antwortet zu unserem Erstaunen der Regisseur: „Wissen Sie, es ist so schwer darstellbar, weil es so leicht darstellbar ist, schaun Sie doch nur, was unsere Kinder alles täglich an Blut und Grausamkeit im Fernsehen präsentiert bekommen!“

Ob er auch einen „Schindler-Effekt“ bemerkt habe, ein plötzliches Interesse an erratisch gnädigen Nazis? „Das ist das Schlimmste was Sie sagen, da kann ich nur sagen: Frau Tabori wurde dreimal gerettet an diesem Tag, und schließlich hat sie nur überlebt, weil ein Mitarbeiter von Raoul Wallenberg sie versteckt hatte.“

Auf die Frage schließlich, welche Veränderungen er nach dem Festival in Toronto, wo der Film das erste Mal gezeigt wurde, vorgenommen hatte, stellte sich heraus, daß genau die Szene weggefallen war, die unsere Rezensentin vermißt hatte: Im Deportationszug griff ein Mann Frau Tabori unter den Rock und sie ließ es nicht ungern geschehen. Die Darstellerin Pauline Collins hätte die Szene auch gern dringelassen, ebenso wie Tabori, aber, so Verhoeven: „Einige Überlebende in Toronto sagten zu mir: du, Michael, ist das denn nötig? Nimm es doch raus!“ Verhoeven zuckt mit den Achseln, als wolle er sagen: was soll man da machen, deren Wort ist Befehl. Dann fügt er noch einen Quark von Tabori hinzu, man würde hierzulande immer die Opfer entsexualisieren, den Holocaust überhaupt entsexualisieren, und das sei doch eine neue Form von Antisemitismus...

Nicht nur fragt man sich, ob diese Leute wirklich keine eiligeren Sorgen haben als die Sexualisierung der Opfer. Man greift auch unwillkürlich zum Geldbeutel, um Herrn Verhoeven durch eine Solidaritäts-und Sammelaktion vielleicht zu einem Videorecorder und ein paar guten Büchern zu verhelfen, damit der gute Mann sich auf den Stand der (filmischen) Debatte bringen und sich den Luxus einer eigenen, opferunabhängigen Meinung leisten kann.

Von Andrzej Wajdas Pressekonferenz zu „Karwoche“ konnte man sich auch einiges versprechen, nachdem, der Film ja schon so komplex geraten war. Tatsächlich saßen dann da die beiden Hauptdarstellerinnen, links von Wajda die weißhäutige, reine Blonde, die die hochschwangere Katholikin gespielt hatte, rechts von ihm die rothaarige Laszive, die im Film die Jüdin Irena war. Die drei ergaben gewissermaßen ein Tryptichon.

Wie man so hört, ist die Lage in Polen wohl nach wie vor die, daß das Ende der kommunistischen Zensur nicht nur die Diskussion um polnische Kollaboration, sondern auch den Antisemtismus befreit hat. Darauf angesprochen reagierte Wajda mit der erstaunlichen Bemerkung, ja, auch er habe Schuld auf sich geladen, aber andererseits seien es ja auch seine Filme gewesen, die ein Loch in die Berliner Mauer gerissen hätten.

Das ist immerhin interessant und wer hätte es gedacht, aber auf die Frage, ob die beiden Frauenrollen nicht doch ein wenig zu klassisch geraten seien, antwortete dann die Darstellerin der Irena, Wajda habe ihr geraten, sie solle nicht an Ideologie denken, sondern sich vorstellen, sie habe Krebs. Daß so etwas im Saal eine gewisse Unruhe auslöste, kann man sich denken.

Und als dann hinter mir jemand aufstand und sagte: „Ich bin amerikanischer Jude, wie kommen Sie dazu, in diesem Zusammenhang von Krebs zu reden“, und Wajda dann entgegnete, man habe eben etwas Allgemeinmenschliches machen wollen, war dann irgendwie schlechte Stimmung allenthalben.