Filmfeste Biographien
: Ungeheuerliche Befugnisse

■ Leben oder Werk: Wie das System die Individuen durchdringt

Es gehört zur Tradition von Spionagefilmen und Science Fiction, daß die Tiefe der gezeichneten Charaktere begrenzt ist. Deshalb ist es so einleuchtend, einen Spionage/Science Fiction-Film wirklich zu zeichnen, wie „Ghost in the Shell“ (von Mamoru Oshii und hunderten von spezialisierten Zuarbeitern). Die klischeehaft gut aussehende Sicherheitsagentin ist wirklich ein Klischee und ihr Kollege ebenfalls. Gerade die Verallgemeinerung von Körperschemen und Physiognomien gibt dem Film seine Wirkung, weil nämlich in Frage steht, inwieweit die Figuren „noch biologisch“ oder „schon elektronisch geklont“ sind.

Von vornherein im Land der Phantasie — der Film hat auch ein paar hervorragende Kombis von echten Außenaufnahmen, bewegt und angehalten, mit eingezeichneter Animation — wird man hineingerissen in das unergründliche System eines durch und durch technischen Zusammenhangs. Ganz im Sinne des Genres nimmt mit der Brutalität des Kampfes zwischen den verfeindeten Fraktionen auch der philosophische Output zu, selbstverständlich kreisend um die Frage des „Individuums“: Wo endet der „Geist“, — gibt es einen wirklichen Menschen jenseits seiner Biologie? Mich aber beschäftigte, während mir die Geschosse um die Ohren flogen, die Frage: Worin besteht eigentlich das Werk eines Spions, eines V-Manns, einer Angestellten der Staatssicherheit?

Die Befürchtung, daß ein repressives System die Individuen um ihr Eigenes beraubt, sie von innen mechanisch durchdringt, ist absolut berechtigt. Lutz Dammbeck führt in seinem einstündigen Feature „Dürers Erben“ einige Marionettenreste der verblichenen DDR vor. Der Film handelt von der Leipziger Malerschule und lebt von Dammbecks kundigem Zugriff auf Propagandamaterial, dessen tönende Hohlheit nahezu physisch schmerzt.

Dammbeck — als eiserner Renegat keineswegs unbekannt — hat aus dem Leipziger Milieu immerhin zwei Prominente vor die Kamera bekommen, Bernhard Heisig und Werner Tübke. Heisigs Legende geht: „...So wie jeder, der jung ist, seine Chance sucht, haben natürlich auch wir...“, vergleichende Entwicklungspsychologie von mittlerer Überzeugungskraft. Tübkes Gestammel ist noch peinlicher, weil es höhere Bestimmung suggerieren soll. Der Film schneidet die Interviews mit Heisig und Tübke gegen die der spätstalinistischen Marionetten (einer von ihnen heißt Witz), und läßt den praktizierenden und erfolgreichen Malern keinen spezifischen Zusammenhang von Person und Werk. Zumal das Werk im Film (außer als Kulisse bei den Interviews) keinen Raum bekommt. Insofern geht Dammbeck nicht anders vor als Oshii: er zeichnet Schemen, um die Übermacht des politischen Systems herauszukehren.

„Ich bin doch nur ein Schauspieler“ heißt es am Ende von Klaus Manns Gründgensroman, polemisch gegen die Einsicht gesetzt, daß es dieses „nur“ nicht gibt. Der Schauspieler überantwortet sich dem System, macht den Bösewicht, den Zyniker, den Liebenden und den Wissenden. Einen Teil trägt er in die Rollen hinein, einen anderen nimmt er wieder mit hinaus. Das Werk des Schauspielers ist seine Physis, seine Psyche, seine Verwandlung, die er dem Apparat — der Produktion — anvertraut. Die Hoffnungsmaschine des Films verändert die Leute.

Der gravierendste Fall einer solchen Verwandlung ist Orson Welles, weil er als 25-jähriger mit der ganzen Definitionsmacht seiner notwendig kurzen Geschichte in die Rolle des „Citizen Kane“ fällt, die den Aufstieg und Fall eines üblen, populistischen Mega- Verlegers zeichnet. Welles ist auch der Regisseur des Films (1941). Zusätzlich ist es sein Debut als Filmregisseur. Und er hat ungeheuerliche Befugnisse, was die Rechte in den Studios, des Schnitts und der Eigentumsrechtes angeht.

„Die Schlacht um Citizen Kane“ von Thomas Lennon und Michael Epstein zeichnet die Vorgeschichte des Films, die Produktion und den Kampf um die Veröffentlichung nach: Orson Welles, das junge Genie Amerikas vor dessen Eintritt in den Zweiten Weltkrieg, ein Visionär des alternativen Theaters im großen Stil, Erfinder der Radio-Panik, verbrennt mit einem einzigen Projekt sämtliche Energien. Nachdem der Film sich — in seiner Zeit — als politisch nicht durchsetzbar erweist, bleibt von Welles nicht viel übrig.

„Die Schlacht...“ suggeriert einen Zusammenhang zwischen dem Niedergang des Verlegers Hearst, dessen vernichtende Biographie „Citizen Kane“ zeichnet, und Welles selbst. Welles war aber — das macht seine Lage unvergleichlich — in niemandes Pflicht, anders als die geklonte Agentin und die sozialistischen Malerfürsten. Er ist auch nicht, wie Hearst, an seiner Feigheit zugrunde gegangen, sondern hat den makellosen Augenblick bezahlt mit einem Wechsel auf seine Zukunft. Er hat das System zu knacken versucht wie eine Nuß, und als sie offen war, blieb allein das Werk übrig, nackt und wahrscheinlich für die Ewigkeit. Ulf Erdmann Ziegler