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■ Große Kunst im kleinen Fernseher: Einige persönliche Anmerkungen zur televisionären Kulturberichterstattung

Meister Campino von der Musikgruppe „Die Toten Hosen“ meinte neulich, daß auch ein Kulturmagazin wie „aspekte“ nur dazu dienen könne, die Menschen zu beruhigen statt sie aufzurühren. Und man will ihm diese Meinung neiden. Der gute Musikus weiß wohl nicht, was es bedeutet, wenn man den lieben, langen Tag die Quotensau rausläßt und sich den wilden Fernseher reintut.

Da sehnt man sich geradezu nach Buße und Einkehr bei einem Kulturmagazin, allein nur um die eigene Sau wieder einzufangen. Beispielsweise nach dem „Buchladen“ der Deutschen Welle für den literarisch interessierten Auslandsdeutschen (den man aber nur bei B1, sehen kann): Nach Inge Jens, die sich immer wieder vom Narzißmus des Literaten Thomas Mann „tangieren“ läßt. Allein, weil man sich auch mal wieder von was tangieren lassen will.

Aber selbst die Welt der Kulturmagazine hat das Verstörende. Da war in „Metropolis“ auf arte wieder nur so ein lieblos hinmontierter Bilderhaufen zu sehen; mit vielen Veranstaltungstips, mal kurz, mal lang, einem alten Interview mit Gilles Deleuze und einem langweiligen Porträt eines noch langweiligeren Fotografen.

Das alles kennt man auch von den anderen Kulturmagazinen – selbst von der so aktuellen und sauber gemachten, täglichen „Kulturzeit“ auf 3sat. Auch da gibt es immerzu den kurzen Tip zum Hingehen mit einer Ortskennung, die sich sofort versendet; den bunten Bilderreigen von der bunten Vernissage; den wortreichen Hinweis auf die seitenweise Lektüre und immerzu diese riesigen Gesten und die nachhallenden Reden wichtiger Schauspieler auf ganz großen Bühnen – in unserem so kleinen und leisen Fernseher.

Am härtesten aber treffen einen diese Kino-Tips mit ihren Millionen Dollar schweren Bildern und den ganz fiepsigen Kommentaren. Unwichtig, ob die Kulturreporter sich mal schlampiger oder mal schlauer anstellen. Immerzu wollen sie nur ihrem Format gerecht werden und fotografieren und texten den alten Medien hinterher: der Kunst, der Literatur, dem Theater und dem Kino: Schaut! Das ist groß und Gold (oder Blech) – wir sind nur klein und aus Silizium. Das sagt einem nichts (und beruhigt auch kaum). Es kann einem höchstens ans Herz gehen: Diese hageren und bleichen TV- Kultursklaven, die sich immerzu so kariert oder tückisch geben, weil sie sich immer noch als Kulturdiener verstehen.

Dabei muß man gar nicht mitleiden. Seit Jahren sendet der BR mit „Capriccio“ ein freisinniges Kulturmagazin. Als Kid-Clip-Sendung verunglimpft, stecken hinter den schnell geschnittenen und metaphernreichen Kurzfilmen oft genug klassische Essays, Polemiken und Kritiken. Hier kann sich der Autor noch mächtig in den Vordergrund spielen. Kamera, Bilderarchiv und Schneidetisch dienen ihm nur zu seinem ganz eigenen, persönlichen Bildersturm.

Beispielsweise Alexander Hellbrügges Bericht über die Nürnberger Spielzeugmesse. Als Hape Kerkeling für die Gymnasiasten hopst er durch die Hallen und macht sich über den Trend in Richtung Luxus, Heldenkult und Action lustig, einfach so. Seine Arroganz, sein Fön, seine Bilder bleiben haften. Und das tut wohl.

Aber auch „Capriccio“ pflegt den parasitären Kulturfilm. Letztens wurde dort ein Porträt über Marina Abramovicz und deren Fortsetzung der alten Sandkastenspiele mit künstlerischen Mitteln versendet. Da war wieder nur diese blöde Ehrfurcht vor dem anderen Medium zu sehen – und auch noch in „Kulturzeit“ wiederholt.

„Capriccio“ hat dennoch einen guten Einfluß ausgeübt. Wer sich noch an den kunstbetretenen „Kulturreport“ (ARD) aus Leipzig von vor zwei Jahren erinnert und nun sieht, wie locker, gut recherchiert und froh sich die Autoren heute mit der Sinnstiftung der Populärkultur beschäftigen, der kann den Langzeittrend in Richtung Klein-Essai bereits absehen. Selbst bei „aspekte“ sind die ersten, rein flapsigen Sätze zu hören. In einer Polemik über den Kult der starken Frauen und den 400sten Todestag von Sir Francis Drake textete die Autorin munter, daß die Männer von heute dem alten Haudegen nicht mehr das Wasser reichen könnten. Diese eine (sagen wir mal: subjektive) Nachricht aus der heutigen Welt der Sitten und Gebräuche konnte einen mehr erschüttern als die ganze aspekte- Sendung vom folgenden Sonntag. Da wurde Christa Wolf zu ihrem neuen Buch interviewt und auch sonst alles richtig gemacht.

Man mag es einfach nicht mehr sehen, wenn sich die Autoren dem Kulturmythos ihrer Deutschlehrer andienern, statt mit ihrer eigenen, auch noch so falschen oder blöden Meinung auszupacken. Hauptsache, man spürt ein Ich, eine entsetzte Stimme in den unpersönlichen Zeiten der Bilderflut. Dann fühlt man sich nicht so einsam vor dem Fernseher. Marcus Hertneck