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Mit dem Bus von Tuzla nach Zagreb

Bosniens Einwohner können erstmals wieder über die ehemaligen Frontlinien reisen. Aber die serbischen Polizeikontrollen bringen Kroaten und Muslime noch ganz schön ins Schwitzen  ■ Aus Zagreb Georg Baltissen

„Bleiben Sie ganz ruhig. Die serbische Polizei darf nur Ihre Ausweise kontrollieren.“ Im Bus von Tuzla nach Zagreb ist Hassan Muratić * der Ansprechpartner für die kleinen und größeren Nöte der Passagiere. Der eine will rechtzeitig ein paar Fotos in Sicherheit bringen, die für die serbische Polizei verdächtig sein könnten. Ein anderer will seinen Militärpaß loswerden. Beifahrer Hassan Muratić packt alles in seine Jackentasche und ist dabei die Ruhe und Gelassenheit selbst. Doch so ganz will seine Lockerheit und Zuversicht nicht auf die Passagiere überspringen. Schon bei der Abfahrt in Tuzla steht den Zurückbleibenden die Sorge um ihre Angehörigen ins Gesicht geschrieben. „Man kann ja nie wissen, was sie gerade wieder vorhaben“, sagt der 20jährige Selim, der auf seiten der bosnischen Armee gekämpft hat.

Erst seit wenigen Tagen ist die Busverbindung zwischen Tuzla und Zagreb wieder in Betrieb. Sie führt über die von US-amerikanischen Ifor-Truppen kontrollierte Zone in Bosnien-Herzegowina nach Kroatien. Der Bus durchquert hinter Tuzla ein von den bosnischen Serben beherrschtes Gebiet. Kurz vor der kroatischen Grenze, in der Enklave von Orašje, direkt an der Save, erreicht er dann wieder von der bosnischen Regierung kontrolliertes Territorium. Bislang konnten Angehörige aus Tuzla und Umgebung ihre Verwandten in Orašje oder im kroatischen Slawonien nur nach einer 24stündigen Fahrt über Split und durch ganz Kroatien besuchen. Die neue Buslinie vermindert den Zeitaufwand um gut 20 Stunden.

Das Nadelöhr der Reise ist die Fähre über die Save

Bei Orašje überqueren Privatwagen und Busse, Militärtransporter und Tieflader die Save, den Grenzfluß zwischen Kroatien und Bosnien. Statt der von den US-Truppen gebauten Ponton-Brücke, die nur für den militärischen Verkehr zugelassen ist, müssen die Zivilfahrzeuge mit einer Fähre übersetzen. Sie wird an Ketten über den Fluß gezogen und von kleinen Beibooten mit Motorantrieb zur Landestelle bugsiert. Da immer nur wenige Fahrzeuge mit der Fähre transportiert werden können, sind Staus und Wartezeiten bis zu drei Stunden nicht ungewöhnlich.

Die einstige Autobahnbrücke über die Save, die an dieser Stelle Zagreb und Belgrad verband, ist völlig zusammengeschossen worden. Selbst von den Stützpfeilern in der Mitte des Flusses ist nichts übriggeblieben. Die Grenze zwischen Belgrad und Zagreb ist dicht. Jeder Reisende muß den zeitraubenden Umweg über Ungarn in Kauf nehmen.

Neuschnee ist gefallen. Und hinter Tuzla hat der Bus auf der hügeligen Strecke mit den winterlichen Schneemassen zu kämpfen. Zwar sind Räumfahrzeuge der Ifor unterwegs; dennoch sind die Straßen schwer passierbar. Entgegenkommende Ifor-Transporter nötigen den Busfahrer wiederholt zu waghalsigen Ausweichmanövern. Nach einer knappen Stunde Fahrt erreicht der Bus das von bosnischen Serben kontrollierte Territorium. Schon kurz darauf nimmt der Grund für die Unruhe bei den kroatischen und muslimischen Businsassen konkrete Gestalt an: Der erste Kontrollposten der serbischen Polizei taucht auf. Beifahrer Hassan springt auf. Mit eindringlicher Stimme ermahnt er seine Passagiere zur Ruhe. Einige ducken sich sichtbar in ihre Sitze, andere kramen hektisch nach ihren Ausweisen.

An der Straßengabelung stehen zwei serbische Polizeiwagen mit je zwei Polizisten. Im Rücken der serbischen Polizeiwagen zwei Panzerspähwagen der Ifor-Truppe. Die Kanonen zeigen direkt auf die Polizeiwagen. Der Bus wird durchgewunken.

Die zweite serbische Polizeikontrolle taucht dagegen wie aus dem Nichts auf. Auf einer abschüssigen Straße durch den Wald steht ein roter Privatwagen, leicht verdeckt in einer Parkbucht. Zwei serbische Polizisten in blauer Uniform treten hinter dem Wagen hervor auf die Straße. Mit einem legeren Handzeichen wird der Bus gestoppt. Schwitzen, nervöses Hin- und Herrücken, der schnelle Griff zum Paß. Im Bus herrscht absolute Stille, als einer der Polizisten, die Maschinenpistole über die Schulter gehängt, den Bus betritt und beginnt, die Ausweise zu kontrollieren. Er nimmt es sehr genau und läßt sich reichlich Zeit, jeden einzelnen Ausweis ausführlich zu studieren, so als würde er Buchstabe für Buchstabe lesen.

Beifahrer Hassan versucht die Situation mit ein paar Scherzen aufzulockern. Aber niemandem ist nach Lachen zumute. Nach endlos langen, quälenden Minuten hat der Polizist endlich die Mitte des Busses erreicht. Laut und in herrischem Ton hallt seine Frage durch den Innenraum: „Hat jemand Videokameras oder Fotoapparate dabei?“ Keiner antwortet.

Im hinteren Teil des Busses lassen sich die Ausweise dann offensichtlich etwas schneller lesen. Die Kontrolle geht zügiger vonstatten. Mit einem prüfenden Blick auf das über den Sitzen verstaute Handgepäck tritt der Polizist den Rückzug an. Wortlos verläßt er den Bus. Allgemeines Gemurmel setzt ein. Jeder hält ein Schwätzchen mit seinem Nachbarn.

Es folgen noch zwei weitere serbische Kontrollposten. Beim ersten geben sich die serbischen Polizisten mit einem Blick in den Bus und ein paar weitschweifigen Erklärungen von Hassan zufrieden; beim letzten Checkpoint, an der Grenze der „Republika Srbska“, werden noch einmal alle Ausweise kontrolliert. Die Polizisten tragen bessere Uniformen mit breiten weißen Kragen. Sie stellen keine todernste Miene zur Schau, sondern sind auch mal zu einem Lächeln bereit. Ein Blick pro Ausweis genügt. Ihr professionelles Verhalten läßt ahnen, daß sie tatsächlich Polizisten sind und nicht in Polizeiuniform gesteckte ehemalige Milizionäre.

Die „Republika Srbska“ liegt jetzt hinter uns, die Enklave von Orašje vor uns. Zu Beginn des Niemandslandes ein Ifor-Kontrollposten, sicher verbarrikadiert mit Tausenden von Sandsäcken. In der laut dem Dayton-Abkommen vier Kilometer breiten Pufferzone, in der beide Seiten keine Stellungen und keine Männer unter Waffen mehr unterhalten dürfen, verlief drei Jahre lang die Frontlinie zwischen den Kriegsparteien. Die Häuser, die von der Straße aus zu sehen sind, sind allesamt zerschossen und ausgebrannt. Granaten und Raketen haben regelrechte Schneisen in den Wald gerissen. Die Bäume sehen aus wie abrasiert. Das Gebiet ist zu einem großen Teil vermint. Ein jeder schaut nur stumm zum Fenster hinaus.

Zwei Stunden stehen die Passagiere des Busses Tuzla–Zagreb nun schon auf der kroatischen Seite der Save in klirrender Kälte. Beim Halt auf der bosnischen Seite der Save mußten alle Passagiere mitsamt ihrem Gepäck den Bus verlassen und als Fußgänger die Save mit der Fähre überqueren. Der Bus hat sich in die Schlange der wartenden Fahrzeuge eingereiht. Diejenigen, deren Fahrtziel Orašje war, hatten auf jeden Fall das bessere Ende für sich.

Es ist dunkel geworden. Der Frost kriecht langsam über die eiskalten Füße die Beine hoch. Selbst Laufen oder Trampeln kann auf dem gefrorenen Schnee die Füße nicht mehr erwärmen. Aus herumliegenden Zweigen, dem restlichen Inhalt eines Ölkanisters und etwas Pappe läßt sich nur ein sehr kleines Feuerchen machen, das kaum den Schnee zum Schmelzen bringt. Auf Vorschlag des Busfahrers setzt sich die Gruppe schließlich zu Fuß in Bewegung, in Richtung der kroatischen Grenzkontrolle.

Jeder Minusgrad Celsius weniger ist eine Labsal

Vielleicht haben die Grenzbeamten ein Erbarmen und lassen uns in einem geheizten Raum warten. Nach einem Kilometer Marsch stehen wir vor den Containern der kroatischen Grenzkontrolle. Und da bleiben wir auch. Niemand darf hinein. Wie Mücken vom Licht werden die Passagiere von den grellen – und warmen – Scheinwerfern an der Grenzstation angezogen.

Es sind nur noch wenige Fahrzeuge, die an diesem Abend über die Save setzen. Jedes hinter der nächstliegenden Hügelkuppe auftauchende Scheinwerferpaar kann sich der vollen Aufmerksamkeit der Wartenden sicher sein. Aber es dauert noch fast eine halbe Stunde, bis unser Bus endlich kommt. Am Steuer sitzt Hassan, unser Beifahrer. Er übt quasi Busfahren im Niemandsland.

Sieben Stunden hatte das Reisebüro in Tuzla als Fahrtzeit bis Zagreb angegeben. Inzwischen ist es 21.30 Uhr. Eigentlich sollten wir also in einer halben Stunde in Zagreb sein. Doch von Zagreb sind wir noch knapp 160 Kilometer entfernt. Und die Heizung im Bus ist ausgefallen.

Die Paßkontrolle dauert, weil manche Passagiere nicht ihre abgelaufenen bosnischen Pässe, sondern Militärausweise oder andere Ersatzdokumente vorzeigen. Bosnier aber benötigen Transit- oder Einreisevisa für Kroatien. Das Prozedere ist erst nach anderthalb Stunden abgeschlossen.

Die gute Nachricht: Alle dürfen einreisen. Die schlechte Nachricht: Es geht erst mal nicht auf die Autobahn, sondern durch Županja, einen Umschlagplatz der US-Truppen, und das heißt über Stock und Stein. Das dauert. Erneut kommen uns zahlreiche US-Trucks entgegen. Vom Busfenster aus sehen wir ein Militärlager, direkt vor Županja. Container, Zelte, Baracken. Am Straßenrand, ein paar Kilometer weiter, sind amerikanische Hubschrauber geparkt, auf einem Feld im Schnee. Und noch 150 Kilometer bis Zagreb.

Als wir in Zagreb ankommen, ist es 1.30 Uhr. Die eingefrorenen Glieder schmerzen bei jeder Bewegung. Aber keiner der Businsassen muckt auf. Jeder weiß, daß eine solche Fahrt vor kurzem noch undenkbar gewesen wäre. Nach all den Kriegsjahren verwundert es aber nicht, daß die meisten Passagiere auch zu dieser späten Stunde noch von Freunden oder Angehörigen am Busbahnhof in Zagreb sehnlichst erwartet werden.

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