Streit um Aufenthaltsverbot

Merkwürdige SPD: Die niedersächsischen Sozialdemokraten planen ein polizeiliches Aufenthaltsverbot. Gleichzeitig klagte die SPD gegen ein ähnliches Gesetz in Sachsen  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

„Auch unser Protest gegen Atomtransporte kann dann demnächst mit dem niedersächsischen Polizeirecht ausgehebelt werden“, fürchtet Wolfgang Ehmke, Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg. Anlaß für seine Befürchtungen ist jene Änderung des niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes, mit der die SPD die Konsequenzen aus den hannoverschen Chaostagen ziehen will. Der hannoversche Landtag hat über das Gesetz in dieser Woche erstmals beraten.

Nach dem Entwurf kann die Polizei schon gegen solche Personen ein Aufenthaltsverbot verhängen, bei denen sie Anhaltspunkte dafür ausgemacht hat, daß sie zur Begehung einer Straftat beitragen könnten.

„Da machen sich dann aus dem ganzen Bundesgebiet die GegnerInnen eines Atomtransports auf den Weg, doch weit vor der Castor-Strecke werden sie an einer Kontrollstelle gestoppt und zurückgeschickt“, beschreibt BI- Sprecher Ehmke die Wirkung eines Aufenthaltsverbots für ganze Gemeindegebiete. „Wer den Ordnungshütern als potentiell gewalttätiger Castor-Gegner erscheint, kann gar gleich für vier Tage hinter Gitter wandern“, warnt er. Die Gesetzesänderung sieht auch eine verlängerte Vorbeugehaft vor.

Der Sprecher der BI Lüchow- Dannenberg hoffte bisher noch, daß sich in der niedersächsischen SPD-Landtagsfraktion Widerstand gegen diese „flagrante Aushöhlung des Demonstrations- und Versammlungsrechts“ regen könnte. Doch bei der Einbringung in den Landtag stieß das Gesetz allein bei der Grünen-Fraktion auf Kritik. Der CDU war es sogar noch zu lasch. Es war der Grünen-Abgeordneten Silke Stokar vorbehalten, in der Debatte auf die gravierenden Bedenken hinzuweisen, die auch sozialdemokratische Juristen und Polizeipraktiker gegen das bundesweit einmalige Aufenthaltverbot hegen. Die grüne Landtagsabgeordnete hat bereits 15 Stellungnahmen von Sozialdemokraten gegen die Gesetzesänderung gesammelt.

Die niedersächsische Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratische Juristen etwa sieht die Aufenthaltsverbotsregelung als so weitgehend an, „daß sie die Verdrängung aller mißliebigen Personen aus dem Stadtbild nicht ausschließt“. Der Sozialdemokrat, Gewerkschafter und ehemalige Richter Ulrich Vultejus sieht hinter dem Gesetzentwurf die Vorstellung, daß ein moderner Staat nur mit einer verschärften polizeilichen Kontrolle der Bevölkerung regierbar und rechtsstaatliche Kontrollen nur lästig seien. „Genau dies nennen wir einen Polizeistaat“, schrieb er an die Grünen-Abgeordnete.

„Ein Armutszeugnis für den Gesetzgeber“ nennt gar der renommierte Frankfurter Verfassungsrechtler Erhard Denninger das geplante Aufenthaltsverbot. Er hält es gleich unter mehreren Aspekten für „verfassungsrechtlich bedenklich“. Die Vorschrift sei ein Musterbeispiel für rechtsstaatswidrige Scheintatbestandlichkeit, ein Beispiel für „die Schaffung uferloser Tatbestände mit vielen Worten, die nichts bedeuten und nichts begrenzen“.

Für Denninger besteht sehr wohl Anlaß anzunehmen, daß durch das Aufenthaltsverbot auch „Beiträger“ betroffen sein könnten, die selbst keine Straftäter sind, sondern „bloße Umfeld-Personen, Bekannte, Freunde“. Das könne doch wohl nicht sein, schreibt der empörte Verfassungsrechtler. Dann müsse man jedem, der zweimal in Hannover geklaut hat, den Aufenthalt in der ganzen Stadt verbieten.

Außerdem hat nach Denningers Ansicht die Landtags-SPD die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht bedacht. Das Bundesverfassungsgericht habe die Auflösung einer Versammlung nur unter engen Bedingungen für zulässig erklärt. Jetzt wolle das neue Gefahrenabwehrgesetz Versammlungen „schon im Keim ersticken, bevor noch von einem Keim die Rede sein kann“.

Pikanterweise klagt Denninger gegenwärtig im Auftrag der SPD im Dresdner Landtag gerade gegen das sächsische Polizeigesetz. „Schlimmer als ein schlechter Witz“ ist für den Verfassungsrechtler, daß nun die SPD in Niedersachsen gerade das in den Landtag bringt, wogegen er gleichzeitig im SPD-Auftrag vor dem sächsischen Staatsgerichtshof zu Felde zieht. „Als klar verfassungswidriges Gesetz“ hat jüngst auch das Komitee für Grundrechte und Demokratie den Entwurf bezeichnet, beim dem auf eine öffentliche Anhörung verzichtet werden soll. Diese ist bei Fraktionsentwürfen im Landtag nicht vorgesehen.