Schnur will Exmandanten den Mund verbieten

■ DDR-Bürgerrechtler Krawzcyk und Klier sagen vor Gericht gegen ihren ehemaligen Anwalt und Freund aus. „Das geht mir alles noch arg unter die Haut.“

Berlin (taz) – Wenn er will, kann der kleine Mann mit den großen Augen zu demagogischer Höchstform auflaufen. „Es ist mir persönlich egal, wenn Freya Klier mich als Stasi-Schwein bezeichnet. Aber dieses Schauspiel eines politischen Prozesses mache ich nicht weiter mit.“

Mit diesen Worten wandte sich der ehemalige DDR-Anwalt und, nach dem Mauerfall, Gründer der aus der Bürgerrechtsbewegung hervorgegangenen Partei „Demokratischer Aufbruch“, Wolfgang Schnur, gestern an die Richter. Sein Anliegen: Er wollte die Aussage der ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier vor dem Berliner Kriminalgericht nicht mit anhören müssen. Immerhin hatte die Regisseurin den Anwalt erst unlängst als „eiskalten Denunzianten“ bezeichnet. Doch der Angeklagte Schnur mußte ausharren. Als Stasi-Spitzel, so lautet der Vorwurf der Anklage, soll er 1988 seine damaligen Mandanten, Klier und den Liedermacher Stephan Krawczyk, angeschwärzt haben. Der Stasi teilte er kontinuierlich mit, wie er die „beiden Gegner der Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR“ einschätzte. Als Klier und Krawczyk im Januar 1988 verhaftet wurden, erreichte er, daß sie einer Ausreise aus der DDR entgegen ihrer eigenen Überzeugung zustimmten.

Trotz aller Wut, die sie heute noch hat, bleibt Freya Klier (42) vor Gericht sachlich und nüchtern. „Schnur galt uns als guter Freund und Vertrauter“, erklärt sie. „Wenn er zu Besuch kam, kochten wir was Nettes und redeten über die Situation.“ So erfuhr der heute 52jährige Angeklagte von den Kontakten der beiden zum West- Fernsehen.

Auch Stephan Krawzcyk hatte vollstes Vertrauen. Später, im Knast, bot er seinem Anwalt sogar das Du an. Und noch heute wechselt der 40jährige bei der Anrede, spricht mal vom Angeklagten und erzählt ein anderes Mal: „Wolfgang war der einzige Mensch, zu dem ich im Knast Kontakt hatte. Seine Warmherzigkeit in der Kälte dieser Mauern kam mir gerade recht.“ Noch nach ihrer Verhaftung hatte Freya Klier eher den Eindruck, sie müsse ihren Anwalt trösten. „Schnur wirkte immer völlig zerknüllt, hektisch und aufgeregt.“ Immerhin vertrat er neben Krawczyk und Klier damals noch andere Oppositionelle, die, wie die beiden Eheleute, in der Folge einer Demonstration festgenommen worden waren. Auch ihrem früheren Mann wäre es nie in den Sinn gekommen, dem Juristen zu mißtrauen. In der Haft selbst empfand Stephan Krawczyk die Besuche Schnurs wie die eines guten Kumpels. „Der Wolfgang war so was wie ein Seelendoktor für mich.“

„Wenn ich nur den leisesten Zweifel gehabt hätte, wäre ich wach gewesen“, meint Freya Klier heute. Erst als ihr der eigene Ausreiseantrag vorgelegt wird, verliert sie im Gerichtssaal kurz die Fassung. Sie weint still, spricht gebrochener. Später meint sie dann: „Das geht mir alles immer noch arg unter die Haut. Da kommt alles wieder hoch.“

Der Prozeß wird am Donnerstag fortgesetzt. Karin Flothmann