Prost! Na starowje!

■ Kohl wird sich doch nicht wegen Rußland ärgern

Helmut Kohl hat den Streit darüber, ob er mit seinem Moskau-Besuch Wahlkampf für Jelzin macht, auf sympathische Weise beendet. Er hat es einfach zugegeben: Selbstverständlich unterstütze er Boris, der habe sich schließlich als „stets zuverlässiger Freund Deutschlands“ erwiesen. Wer konnte auch annehmen, daß es hier irgendwie um Rußland geht?

Der Bundeskanzler hat mit dieser netten Geste die Sicht freigegeben auf die viel wichtigere Frage: Weiß Kohl eigentlich noch, warum er Jelzin unterstützt? Nun, auch hier hat Kohl nicht gekniffen. Es sei erfreulich, meinte der Kanzler, daß Jelzin „eine persönliche Verbindung zwischen seiner Kandidatur und den Reformen“ herstelle – was auch immer das sein mag. Außerdem habe Jelzin ihm versprochen, den Krieg in Tschetschenien bis zu den Wahlen friedlich beizulegen. (Wir erinnern uns: Vor vier Wochen war die friedliche Beilegung von Perwomaiskoje.) Boris selbst sehe heute doch ein, daß er in Tschetschenien Fehler gemacht habe. „Was will ich eigentlich mehr?“ rief Kohl lachend in die Kamera. Gute Frage. Antwort: Offensichtlich nichts. Das ist ja das Problem.

Wenn Kohl vom „Fortgang des Reformprozesses“ redet, dann schweben große Sprechblasen durch den Kreml. Jelzin und Reformen – das klingt mittlerweile wie Breschnew und Brause. Boris Jelzin hat die Kontrolle über sich selbst und sein Land verloren. Die Kamarilla im Kreml, die den Präsidenten beherrscht, hat alle Hoffnungen auf eine Demokratisierung und Modernisierung der russischen Gesellschaft zerstört. Sie agiert in einem rechtsfreien Raum, sie wird von niemandem kontrolliert. Sie hat Rußland in einen brutalen Krieg gegen Tschetschenien getrieben. Der Geheimdienst taucht überall wieder auf, er hat nicht nur in Tschetschenien mitgemischt, sondern überwacht mittlerweile die rechtzeitige Auszahlung der Gehälter und Renten. Das ist die Realität des russischen „Reformprozesses“.

Und was macht Kohl? Er plauderte mit seinem Freund Boris aus gegebenem Anlaß über seine Erfahrungen mit der kritischen Presse. Wenn man das dauernd erlebe, so der gewiefte Kanzler, „merkt man es nur noch gelegentlich. Das Leben ist zu schön, um sich darüber zu ärgern.“ Na starowje. Wer will sich schon wegen Rußland und seiner paar Probleme ärgern? Jens König