Kinder auf dem Seelenverkäufer

■ Minderjährige Flüchtlinge auf Schiff im Freihafen eingesperrt, weil der ebenso wie Barmbek angeblich nicht zur BRD gehört Von Iris Schneider

„Einschleicher“ heißen bei der Wasserschutzpolizei Menschen, die auf dem Seeweg nach Hamburg einreisen wollen, ohne die dazu notwendigen Papiere zu besitzen. Wenn möglich, werden sie an der Einreise gehindert und gleich „zurückgeschoben“, wie es im Amtsdeutsch heißt. Ein Verfahren, das in aller Stille vor sich geht und den Betroffenen keine Gelegenheit gibt, juristische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Zum Bespiel neun Liberianern, die am Freitag voriger Woche auf dem maltekischen Frachtschiff Constantinos D. von der Wasserschutzpolizei festgenommen wurden. Sie hatten sich in Ghana unbemerkt auf den Frachter geschlichen. Drei der jungen Männer schickte ein Hamburger Amtsrichter ins Untersuchungsgefängnis in Zurückweisungshaft.

Die anderen sechs Liberianer, im Alter zwischen 13 und 17 Jahren, wurden zum Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) in der Feuerbergstraße gebracht. Dort wurde nichts für die Jungen getan. Weder wurden sie in eine Einrichtung zur Erstaufnahme jugendlicher Flüchtlinge gebracht, noch wurde für die unter Sechzehnjährigen ein Vormund bestellt. „Ein Skandal,“ findet Karoline Koring vom Flüchtlingsrat. Die Leiterin des KJND verweigerte gegenüber der taz zu dem Vorfall jede Aussage.

Am Sonntag holte die Wasserschutzpolizei die Kinder aus der Einrichtung der Jugendhilfe wieder ab, um sie einem Richter vorzuführen. Der entschied, daß die Minderjährigen mit der Constantinos D. zurück nach Ghana fahren müßten. Deshalb wurden sie bis auf weiteres an Bord des rostigen Frachters am Schuppen 64 im Hamburger Freihafen eingesperrt. „Ein echter Seelenverkäufer“, so der Kommentar eines Hafenarbeiters.

Betreuung durch Pädagogen oder auch nur einen Vormund erhielten sie dort nicht. „Die Kollegen beim KJND haben wohl nicht verstanden, was da gelaufen ist“, vermutet Kai Seeligmann vom Flüchtlingsrat, der die Kinder am Dienstag auf dem Schiff besuchen durfte. „Die Zustände sind dürftig, die Kinder haben nichts, nicht mal Kleidung zum Wechseln“, beschreibt er ihre Situation.

Wie sie in Ghana, das ja nur eine Station auf ihrer abenteuerlichen Flucht aus dem Bürgerkriegsland Liberia war, überleben sollten, interessierte weder Polizei noch Richter. Auch der Schutz, der Kindern vom Kinder- und Jugendhilfegesetz und der UN-Kinderkonvention zugestanden wird, wurde den sechs Jungen verweigert. Da sie per Schiff in den Freihafen gekommen seien, so die spitzfindige Konstruktion der Wasserschutzpolizei, seien die sechs Liberianer ja gar nicht in die Bundesrepublik eingereist.

Ob sie sich aber beim Kinder- und Jugendnotdienst in Barmbek, bekanntlich ein Hamburger Stadtteil, auf „exterritorialem Gebiet“ befunden hätten, sei juristisch doch recht zweifelhaft, erklärte Rechtsanwältin Erna Hepp, die die Vertretung der Liberianer übernommen hat, gegenüber der taz. Per Eilantrag konnte sie die sofortige Rückweisung verhindern. Inzwischen haben alle neun einen Asylantrag gestellt.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ordnete gestern an, daß die sechs Jungs nach vier Tagen aus ihrem Gefängnis auf dem Schiff entlassen werden. Für die drei über 16jährigen bedeutet das den Umzug auf ein anderes Schiff – eines der Flüchtlingsboote in Neumühlen.