Die böse Reise nach Disneyland

■ "Willkommen im Puppenhaus" hat die Kritiker beim Sundance Festival in Toronto und jetzt auch bei der Berlinale an ihre vermurkste Kindheit erinnert. Ein Gespräch mit dem Regisseur Todd Solondz

taz: Sie sind seit drei Tagen in Berlin. Welche Filme haben Ihnen gefallen?

Todd Solondz: Leider keiner, weil ich bislang nur wegen Presseterminen zwischen Savoy, Kempinski und der Interconti-Lounge hin und her gependelt bin.

Schade, denn alle Programme sind voll mit leidenden Teenagern, die sich durch den ersten Sex quälen müssen. Seit „Kids“ geht der Trend zu Filmen über Teenagerängste. Können Erwachsene ihre eigenen nicht mehr ertragen?

Das weiß ich nicht. Wir haben „Willkommen im Puppenhaus“ zur gleichen Zeit gedreht wie Larry Clark „Kids“. Nur lag mein Skript schon seit sechs Jahren herum und interessierte niemanden. Für die Major-Studios klang ein Film über elfjährige Kleinstadtmädchen nicht sehr vielversprechend. Also haben wir das Ganze privat produziert. Die Idee kam von einer Sitcom, in der ein Junge seine Schulzeit und die Probleme zu Hause spielt. Ganz Amerika hat sich damit indentifiziert. Ich fand es dagegen schrecklich, daß die Kindheit dort nichts mit meiner eigenen zu tun hatte. Im Grunde gibt es keinen amerikanischen Film, der sich realistisch mit solchen Erinnerungen beschäftigt, während in Europa, de Sica oder Truffaut zu diesem Thema gedreht haben.

Auf Realität wird doch überall Wert gelegt, ob „Kids“ oder MTVs „Real World“. Wo sehen Sie da Ihre Chance als Filmemacher?

Nun, es gibt bereits Kontroversen über die Altersfreigabe von „Puppenhaus“. Mein Film zeigt weder Sex noch Gewalt noch Nacktheit, aber er regt viele Leute wegen der direkten Sprache, der Sicht auf die Familie, der Demütigungen und unterschwellig psychologischen Drohungen auf. Der Film ist erst ab 17 freigegeben, ich hingegen hätte mir durchaus Kinder als Publikum gewünscht. Erwachsene sind zu nostalgisch in Bezug auf ihre Kindheit, in der sie ständig glücklich waren. Das ist eine Lüge, mit der man sich selbst unterdrückt. Gerade mit elf Jahren macht man enorme Krisen durch, steht vor der Pubertät und wird sich darüber klar, daß die Träume zu Ende sind. Erwachsene können so etwas nicht ertragen.

Für ihre Hauptfigur ist dieser Übergang ja auch eine Katastrophe: Für Barbies zu alt, zum Petting zu jung. Was hat Sie an dieser Spaltung gereizt?

Diese Art Entfremdung, wo sich die Probleme von der Schule auf die Familie übertragen und umgekehrt. Dabei hat es mich nicht so sehr interessiert, wie stark Dawn ein Opfer ihrer Umwelt ist. Mir war es viel wichtiger, die Ambivalenz zwischen Täter und Opfer zu zeigen, die dieses Alter bestimmt. Jede Entscheidung scheint Leben und Tod zu berühren. Der Junge etwa, der sie zu vergewaltigen droht, ist ein eher sanfter Kerl, der vermutlich nicht einmal weiß, wovon er redet. Vielleicht ist Grausamkeit ein besserer Begriff für die Erfahrungen in diesem Alter, nur wird das Ganze auch immer transzendiert. Der erste Kuß im Film war auch für Heather Matarazzo als Darstellerin von Dawn das erste Mal. „Puppenhaus“ ist der erste Film, in dem die Reise nach Disneyland das Gegenteil von Happyend bedeutet.

Bis auf „My Girl“ und „Kevin“ hat der Mainstream Kindheit noch gar nicht als Thema entdeckt. Entspricht Ihr Film nicht auch dem Mythos vom Independent-Kino als Avantgarde?

Das wäre auch wieder nur eine Konstruktion: Erst Generation X, dann Clark, und nun geht man bis in die Kindheit zurück. Ich freue mich, wenn Leute den Film loben, weil er eine starke Authentizität besitzt. Mit einem Western wäre es mir hoffentlich ähnlich ergangen. Independent heißt Kompromisse machen. Man muß mit der Arbeit aufhören, weil eine Mutter sagt: Es ist mir egal, ob hier ein Film gedreht wird — meine Tochter ist gefälligst in 15 Minuten zu Hause. Interview: Harald Fricke

„Willkommen im Puppenhaus“, am 24.2., 17 Uhr im Babylon im Zeughauskino