Und so bleibt der Wiener ganz Wiener

■ Fragmentarisches: „Charms Zwischenfälle“ von Michael Kreihsl im Forum

Da gibt es all diese Klischees über Wien, über den morbiden Humor, diese hinterfotzige Todessehnsucht und die joviale Brutalität. Aber das Absurdeste ist, daß etwas dran ist an diesen Klischees. Als wären die Wiener schon so hinterlistig, daß sie die ganze Welt glauben lassen wollen, sie seien tatsächlich so, wie diese denkt.

Was uns zu Daniil Charms führt, der sich in Wien sicher wohl gefühlt hätte. Die Wiener fühlen sich auf jeden Fall wohl mit den kurzen Geschichten und der Lyrik des russischen Autors, der 1942 in einer Leningrader Gefängniszelle gestorben ist, vermutlich verhungert. Aus dem Zyklus „Fälle“ und der Kurzgeschichte „Fallen“ hat der Wiener Filmemacher Michael Kreihsl „Charms Zwischenfälle“ gemacht. Hinzugefügt hat er selbstverfaßte „Furchtbarkeiten, über die man lacht.“

Kreihsl hat sich einige Klammern gewählt, um den absurden Episoden einen tragfähigen Rahmen zu geben. Dazu läßt er den Schriftsteller Juvacev (Charms' bürgerlicher Name) und die meisten anderen Figuren in einer Wiener Mietskaserne wohnen. Und Ulrich Tukur soll als Erzähler das Ganze strukturieren. Dann kann's losgehen: In Juvacevs Zimmer fällt die Kühlschranktür aus der Angel und anstatt Tapeten kleben vergilbte Zeitungen an den Wänden. Der im Treppenhaus nächtigende Obdachlose wird mit Benzin übergossen. Die Geliebte nimmt von einem Tag auf den anderen plötzlich zwei Zentner zu und wird innerhalb von Sekunden wieder dünn. Aus dem Schrank kommen Musikanten, Juvacev singt „Ein ganzer Garten rauscht in meinen Ohren“ und die Leute ziehen kleine Holzhämmerchen aus ihren Mündern. Selbst Tukur wird da sprachlos.

Irgendwann fallen die Klammern auseinander und löst sich der Film zur Nummernrevue auf. Aber das macht nichts, denn „das Fragmentarische ist ausgestellt“ sagt Michael Kreihsl und das kann ganz wundervoll sein. So bleibt der Wiener ganz Wiener und so, wie wir ihn kennen. Auch wenn dies das einzige ist, auf das man sich bei „Charms Zwischenfällen“ verlassen kann. Thomas Winkler

„Charms Zwischenfälle“, Österreich 1995, 88 Min., Regie: Michael Kreihsl, heute um 12 Uhr in der Akademie der Künste