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Das PortraitDer Angeklagte

■ Abdülmelik Firat

Abdülmelik Firat, etwa 70, Vaterfigur der Kurden in der Türkei, sitzt im Gefängnis

Foto: Özgür Politika

Es gibt Menschen, die strahlen eine ungeheure Autorität aus. Nicht Autorität, die auf Zwang und Gewalt beruht, sondern auf Lebenserfahrung und Weisheit. Abdülmelik Firat – sein Alter wird auf 70 geschätzt – ist so einer. Er ist die Vaterfigur der Kurden in der Türkei, Enkel des legendären Rebellen Scheich Sait, der 1925 hingerichtet wurde.

Seit über 40 Jahren ist Firat aktiver Politiker. Mehrere Legislaturperioden lang war er Abgeordneter in der türkischen Nationalversammlung. Firat ist ein Konservativer, ein frommer Muslim. Werte wie Moral und Frieden sind ihm heilig. Er ist kein Draufgänger in der Politik, er mahnt stets zur Besonnenheit. Firat, seit Jahrzehnten Gefährte des türkischen Staatspräsidenten Süleyman Demirel und vergangene Legislaturperiode Abgeordneter der Regierungspartei Tansu Çillers, trat vor zwei Jahren aus der Partei aus.

In der Türkei herrschen die Wahnsinnigen. Sie haben den herzkranken Mann festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. In Handschellen wurde er dem Staatssicherheitsgericht vorgeführt. Er habe im Juli 1994 auf einer Konferenz in Berlin „separatistische Propaganda“ betrieben und in den Jahren 1992 und 1993 PKK-Guerilleros Hilfe geleistet. Die Vorwürfe sind absurd, zudem Firat im betreffenden Zeitraum parlamentarische Immunität genoß. Firats Verhaftung läßt sich nur durch Rachegefühle erklären.

Diese Regung des Staates Firat gegenüber ist nicht neu. In den fünfziger Jahren war er Abgeordneter: Als die Militärs 1960 putschten, forderten sie die Todesstrafe gegen Firat. Drei Jahre verbrachte er im Gefängnis. Nach der Militärintervention 1971 wurde er wieder verhaftet. Die Tage nach dem Putsch 1980 verbrachte er im Kellergewölbe einer Militärkaserne. Man hat ihn mal als „Kommunisten“, mal als „islamischen Reaktionär“, mal als „Separatisten“ angeklagt.

Firat, der zur Zeit im Istanbuler Gefängnis Bayrampasa einsitzt, ist schwer krank. Mit einer Ambulanz wurde er zum Staatssicherheitsgericht gefahren. Dort antwortete er mit Zeilen des Dichters Riza Tevfik, der vor mehr als 70 Jahren aus der Türkei verbannt wurde: „Reisender, kommst du nach Ankara; / Sage folgende harten Worte dem Parlament, / Sage es den Kriechern, / Der Philosoph hat sein Leben zweigeteilt, / In der Wüste hat er in Freiheit gelebt / und ist glücklich gestorben.“ Ömer Erzeren, Istanbul

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