■ Pat Buchanans Vorwahlerfolg in New Hampshire bringt das programmatische Dilemma der Republikaner ans Licht
: Partei der Arbeiterklasse

Jawohl, es ist passiert. Das verbotene Wort ist ausgesprochen: „working class“. Ausgerechnet im Vorwahlkampf der US-Republikaner ist sie wieder auferstanden. Pat Buchanan, Bürgerschreck des republikanischen Partei-Establishments und nicht so überraschender Sieger der Vorwahlen in New Hampshire, hat öffentlich erklärt, er wolle die „Grand Old Party“ zur „Partei der Arbeiterklasse“ machen. Die „Gingrich-Revolutionäre“ mit ihrem Credo des Defizitabbaus sind out. Der rechte Klassenkämpfer ist in. Haut den Bossen auf die Flossen – ob bei IBM, AT&T oder an der Wall Street. Nieder mit den Niedriglöhnen und Nafta. Verrückte neue Welt: Ein – zumindest in den USA – als links etikettierter Sozialdemokrat namens Oskar Lafontaine möchte in Amerika lernen, wie man Arbeitsplätze schafft. Ein Rechtspopulist namens Pat Buchanan bedient sich marxistischer Terminologie, weil eben jene Jobs seine Landsleute zwar schuften, aber nicht mehr genug verdienen lassen. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Heulen wäre.

Seit der McCarthy-Ära wird der Klassenbegriff in den USA nur noch benutzt, um Autos nach Komfort und Größe zu kategorisieren, Flugpassagiere zu unterscheiden – und allen Amerikanern mit einem Jahreseinkommen von unter 100.000 Dollar zu suggerieren, daß sie zur „middle class“ gehören. Doch dieses Etikett hat in den letzten Jahren zunehmend an Haftwirkung verloren. Statt dessen finden sich immer mehr Amerikaner in der Rubrik „working poor“ wieder: Familien, die mit einem, manchmal zwei Einkommen trotzdem unter die Armutsgrenze fallen. Das war im „American Dream“ nicht vorgesehen.

Nach drei Jahren ökonomischen Wachstums und Jubelstimmung an den Aktienmärkten sind gleichzeitig „Hunderttausende von Arbeitnehmern von Firmen entlassen worden, die sich neu strukturieren, während neue Technologien und Wettbewerb das Durchschnittseinkommen niedergehalten haben. Die großen Gewinner sind Kapitaleigentümer und eine neue Klasse von Arbeitnehmern in hochbezahlten High- Tech-Jobs“. Felix Rohatyn, Investment-Bankier und jeglichen sozialistischen Gedankenguts unverdächtig, hat dies geschrieben, weil er sich Sorgen um den Zustand des Kapitalismus und die „institutionalisierte Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf der Basis wechselseitiger Loyalität“ macht. Das ist die amerikanische Version der Sozialpartnerschaft minus Sozialstaat und Gewerkschaften, die es den Arbeitgebern eben sehr leichtmacht, diese „Beziehung“ zu kündigen. Daß dieser „Klassenkampf“ nun ausgerechnet die Republikaner vor die Zerreißprobe stellt, werden Historiker später einmal als Ironie der Geschichte abheften dürfen.

Buchanans Aussichten, Präsidentschaftskandidat der Republikaner zu werden, sind nach wie vor minimal. Aber seine Erfolge im Vorwahlkampf zerren das programmatische Dilemma der Partei ins Scheinwerferlicht: Sein reaktionärer Radikalismus in Sachen Abtreibung, Homosexualität, Religion in der Schule oder Immigration hat ihm nicht nur die Unterstützung der christlichen Fundamentalisten in der Wählerschaft und die Ablehnung wertliberaler Republikaner, allen voran Frauen, eingebracht. Buchanan hat auch das Kalkül der „Christian Coalition“, unter ihrem Direktor Ralph Reed, über den Haufen geworfen, der seine Bewegung in den Mainstream der Partei integrieren und lieber mit moderater Rhetorik und politischem Druck hinter den Kulissen arbeiten möchte. Statt dessen spüren nun all jene Abtreibungsgegner Aufwind, die es auf dem Parteitag im August in San Diego auf eine Spaltung ankommen lassen könnten, sollte ihre Position im Parteiprogramm nicht prominent vertreten sein.

Vor allem aber ist Buchanans Isolationismus nicht mehr nur ein parteiinternes Grummeln. Mit seinen Tiraden gegen Nafta, Gatt, Immigranten und seiner Nostalgie für das Amerika des Industriezeitalters kanalisiert er ganze Wählergruppen, allen voran weiße Männer unter den besagten „working poor“, und führt sie in offene Opposition gegen das Partei-Establishment und dessen Hoffnungsträger Bob Dole. Blättert man in den Geschichtsbüchern, so man könnte all dies für ein déjà vu halten. Populistische Opposition gegen eine Gesellschaft im wirtschaftlichen Umbruch hatte vor genau hundert Jahren Hochkonjunktur in den USA. Damals ging es gegen die Banken, Eisenbahnen, das „große Geld“ an der Ostküste, gegen Immigranten und korrupte Politiker in Washington. Zwei Faktoren fehlen heute allerdings. Es gibt (noch) keine linkspopulistische Strömung und auch keine Tendenz zur Stärkung bundesstaatlicher Instanzen, um die neue wirtschaftliche Ära zu regulieren.

Womit wir wieder bei Pat Buchanan wären. Schlimm, aber wahr: Er ist es, der das Thema „Arbeit und Löhne“ ganz oben auf die Tagesordnung dieses Wahlkampfs gesetzt hat. Plötzlich weicht sogar Bob Dole von der orthodoxen Lehre der Partei ab und kritisiert Konzerne als zu profitgierig und sozial zu unverantwortlich. Bill Clinton schickt seinen Vize Al Gore ins Land, um Gewerkschaftsfunktionäre zu hofieren. Und die Zeitschrift Newsweek druckt auf ihrem Titelblatt unter der Schlagzeile „Corporate Killers“ unvorteilhafte Porträts von Konzernbossen wie IBMs Lou Gerstner, der sich den Abbau von 60.000 Arbeitsplätzen mit einem Jahresgehalt von über zwei Millionen Dollar entlohnen läßt.

Nur was nützt es den betroffenen US-Arbeitnehmern, wenn ihre Sorgen zum Wahlkampfthema werden? Politik wird hier zunehmend als Performance betrieben. Der republikanische Vorwahlkampf hat diese Entwicklung auf eine neue Stufe gehoben: Die programmatischen Aussagen bewegen sich etwa auf dem Niveau der Berliner SPD mit ihrem Slogan „Für eine bessere Politik“. Ansonsten konzentrieren sich die Kandidaten mit Ausnahme Buchanans darauf, den Wählern die eigene Wahlkampfstratgie zu erklären oder die des Gegners zu kritisieren. Manche Kommentatoren finden das postmodern, andere einfach nur traurig.

Bleibt die Frage, ob Clinton seinen innigen Wunsch nach einer zweiten Amtszeit noch einmal mit seinem originären Interesse an der Lösung politischer und ökonomischer Probleme verbinden kann. Sein Arbeitsminister hätte ein paar Gesetzesvorlagen auf Vorrat. Und im Clintonschen Wahlprogramm von 1992 sind ein paar ganz brauchbare Ideen zu finden. Andrea Böhm, Washington