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Angst vor dem Westwind

■ Die Ölkatastrophe nach der Tankerhavarie vor Wales nimmt mittlerweile Ausmaße der Exxon-Valdez-Katastrophe in Alaska an Aus Milford Haven Dominic Johnson

Angst vor dem Westwind

Ein eisiger Wind bläst durch die Nacht. Auf dem Felsen vom St.Anne's Head, wo sich tags ein atemberaubendes Küstenpanorama bietet, riecht es nach Tankstelle. Weit unten im Meer taumelt unter Flutlichtbeleuchtung ein Schiffsungetüm hin und her. Wie ein Haufen Liliputaner beim Fesseln von Gulliver versucht ein Schwadron winziger Schlepperboote, den Riesen vom Fleck zu bewegen. Mehrere Drehungen, ein dumpfer Knall – die kleinen Boote wirbeln durcheinander. Der Ölriese kommt zum Stillstand.

So endete in der Nacht zu gestern ein als „letzte Chance“ bewerteter Versuch, den vor der walisischen Küste leck geschlagenen Öltanker „Sea Empress“ von den Felsen herunterzuholen. Die Küstenwache hatte sich für ihren Abschleppversuch die Springflut ausgesucht, bei der das Wasser am höchsten steht und der Tanker somit am ehesten flott zu machen wäre. Doch die „Kaiserin der Meere“ rührte sich nicht. Frühestens in vier Wochen wird das Wasser hier wieder so hoch stehen.

Trotzdem wollten die Retter es gestern abend wieder versuchen. Mit einem Erfolg rechnete niemand. „Das Schiff“, erklärte gestern Viscount Goschen, aus London eingeflogener Staatssekretär, „steckt auf einem spitzen Felsen fest, der den Rumpf durchbohrt hat.“ Einsatzleiter Stephen Dennison: „Es gibt Löcher an der Unterseite des Schiffes. Aber wir wissen nicht, wie viele.“

Mindestens 50.000 Tonnen Öl der 130.000 Tonnen Gesamtladung hat die „Sea Empress“ verloren, seit sie am vergangenen Donnerstag auf Grund lief – genau an einer Küste, die eines der artenreichsten Vogelparadiese Europas beherbergt. An derselben Stelle war im vergangenen Dezember der norwegische Tanker „Borga“ auf Grund gelaufen – nichts war passiert, denn dieses Schiff hatte im Gegensatz zur „Sea Empress“ eine doppelte Tankwand. So aber ist der Ölverlust jetzt bereits größer als bei der Havarie der „Exxon Valdez“ 1989 vor Alaskas Küste. Vieles soll verdunstet oder verstreut sein, doch vor der südwestwalisischen Küste trieb gestern nach offiziellen Angaben ein sichelförmiger Ölteppich von 40 Kilometer Länge.

Der Nordwind treibt das dicke Öl größtenteils von der Küste weg, aber ein dünner Ölfilm ist in alle Buchten der tief ins Landesinnere reichenden Flußmündung von Milford Haven vorgedrungen. An die traumhaften Strände wirft nun das Sonnenlicht hinreißende Regenbogenfarben, die da überhaupt nicht hingehören. An einigen Stellen sind Dämme aus Sand und Felsen errichtet worden, um das Hereinfließen ölhaltigen Meereswassers in fischreiche Süßwassergebiete zu verhindern. „Das Öl wird trotzdem kommen“, meint Julian Cremona, Leiter des wenige Kilometer vom Tanker entfernten Umweltforschungszentrums „Dale Fort Field Center“. „Es wird bloß ein bißchen länger dauern.“

Cremona wurde zu Beginn der gescheiterten Rettungsaktion am Dienstag abend evakuiert. Während sich die Schlepperboote vergebens abmühten, saß er mit seinen Gaststudenten ratlos in einer dem Unfallort nahegelegenen Kneipe. Als Grund für die Evakuierung sei ihm genannt worden, der Öltanker könne sich losreißen und auf dem Strand seines Forschungszentrums in die Luft fliegen. Er glaubt kein Wort: „Die wollen nur nicht, daß wir ihnen zugucken.“ Was man verstehen kann. Ziel der Rettungsaktionen ist es, den Tanker von der westlichen, dem Ozean zugewandten Seite des Kaps St. Anne's Head wegzubringen und auf der östlichen Seite, wo die Flußmündung beginnt, auf sandigen Boden zu stellen, um dann das verbliebene Öl auf andere Schiffe umzuladen. Das haben die Teams seit Freitag immer wieder versucht – immer mit demselben Erfolg: Wurde abends das Schiff bewegt, kehrte es im Laufe der Nacht mit der nächsten Flut auf die Westseite zurück – zum großen Erstaunen der Küstenwache am darauffolgenden Morgen. „Wir versuchen, das Schiff am Meer zu befestigen“, formuliert unelegant, aber einprägsam ein Einsatzleiter die hoffnungslose Strategie. „Das verdammte Ding hat schon auf jedem Felsen in der Umgebung gesessen“, schimpft eine Umweltschützerin. „Die könnten nicht einmal ein Auto aus dem Straßengraben holen“, höhnt ein Einheimischer.

In der Nacht zum Dienstag machte sich der Tanker nicht nur selbständig, sondern nagelte sich auf einem spitzen Felsen fest, der ihm den Rumpf noch weiter aufriß. Jetzt sind mindestens zwölf, vielleicht sogar alle 17 Ölverladeräume leck. Mit jeder Ebbe sprudelt neues Öl aus dem Wrack. Amtliche Zahlen über die Menge gibt es nicht. „Wir sind über den Informationsmangel enttäuscht“, sagt John Taylor von der Umweltorganisation Earth Kind, die mit einem eigenen Boot den Ölteppich erkundet. „Was man da draußen sieht, stimmt nicht mit dem überein, was man erzählt bekommt.“

Während die Behörden noch immer bestreiten, daß die als Brutplätze vieler seltener Vögel geschützten Inseln Skomer und Skokholm betroffen sind, haben Naturschützer vor Ort bereits den Notstand ausgerufen. „Dickes schwarzes Öl ist in der Nacht auf Skomer gelandet“, verkündete gestern Judith Phillips vom Dyfed Wilde Life Trust, der die Inseln verwaltet. 50.000 Vögel befinden sich bereits auf den beiden Inseln – Zehntausende weitere werden in den kommenden Wochen erwartet, um dort ihre Nester zu bauen. Das Öl könnte somit eine ganze Generation von Jungvögeln auslöschen, vom reichen Unterwasserleben ganz zu schweigen. Bereits am Montag war die Vernichtung einer Kolonie seltener Seesterne gemeldet worden. „An einigen Stränden wird alles tot sein“, meint der Biologe Peter Ferns: „Im schlimmsten Falle werden wir noch in 20 bis 30 Jahren die Schäden sehen.“

Morgen, so die Wettervorhersage, soll der Wind von Nord auf West drehen. Dann treibt der Ölteppich auf die Küste zu und in den Hafen von Milford Haven hinein.

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