„Wir kämpfen bis zur 10.“

■ Behinderte und Nichtbehinderte gründen in Huchting die „Schule der Nashörner“

Insa und Armin kicken Schneebrocken gegen den Bauzaun um ihr neues Schulhaus. Insa drückt ein dickes Stofftier an sich, ein Nashorn. „Das ist Insa“, sagt Armin. Insa staunt Armin an und sagt nichts. „Wir sind die Klasse 5a“, erklärt Armin. „Die Nashornklasse.“ Punkt.

Gestern hat die Nashornklasse in Bremen-Huchting die „Schule der Nashörner“ gegründet. Das ist ein erster kleiner Etappensieg im Kampf um das „Kooperationsmodell“: 18 zehn- und elfjährige SchülerInnen wollen mit ihren fünf behinderten FreundInnen auf jeden Fall zusammenbleiben. Diese sollten wieder in die Sonderschule zurück, weil es nicht genügend Klassenzimmer in der Schule Hermannsburg gab. Jetzt durften die Nashörner in den neuen Erweiterungsbau einziehen.

Da tummelte sich viel Kulturprominenz zur Eröffnung. Denn die Nashörner haben KünstlerInnen gebeten, bei ihnen zu unterrichten. So sang der Bremer Kammersänger Mihai Zamfir „O sole mio“ und das „Nashornlied“. Der Rechtsanwalt und Kinderbuchautor Heinrich Hannover übte mit den Kindern das „Wibbele wabbele wom“-Gedicht, Marion Amschwand vom Ensemble des Bremer Theaters tanzte mit der Klasse und Claus Pierwoß moderierte, souverän.

Auch die Bildungssenatorin kam zur Eröffnung der „neuen Schule“ und brachte die Nachricht, daß „die Kooperation auch im nächsten Jahr gesichert ist – möglicherweise auch im übernächsten.“ Das heißt, sämtlichen Bremer Klassen mit behinderten und nichtbehinderten Kindern ist zugesichert, daß sie bis zur Sechsten zusammenbleiben können. Was weiter wird, könne sie jedoch noch nicht sagen. „Den Haushalt 98/99 kenne ich doch auch noch nicht“, bedauerte Bringfriede Kahrs.

Doch die Nashörner wollen auch die Zehnte noch gemeinsam schaffen. „Die haben die Klassen aufgezogen, die sollen dafür sorgen, daß es weitergeht“, entrüstet sich der Vater eines Jungen. Die, das ist allen voran der einstige Bildungssenator und derzeitige Bürgermeister Henning Scherf, der versprochen hat, was jetzt nicht eingehalten wird. Vater Werner Wode kämpferisch: „Wir hören da jetzt nicht auf. Wir wollen, daß das bundesweit kommt.“ Für die Sache der Kinder nimmt sich Herr Wode wie heute schon mal frei.

„Wir haben schon so viel gekämpft“, seufzt Armin. „Ich möchte mit meinem behinderten Freund Rüdiger zusammenbleiben. Das lassen wir uns nicht gefallen.“ Rüdiger, der blonde Lockenkopf, läßt sich bereitwillig vorstellen. Sagen will er aber nichts, das heißt, er kann nicht. Er hat sich eben ein ganzes Stück Kuchen in den Mund geschoben. Der Kuchen bröselt wieder raus, und Rüdiger grinst. Armin seufzt den Freund an, dann lacht auch er.

Zwei große, helle Räume haben die Nashörner bekommen. Ein Raum sieht nach klassischem Schulzimmer mit Klavier aus, im anderen gibt es eine Küchenzeile und viel Platz. Durch eine Durchgangstür können die Kinder hin- und herlaufen. „Das ist sehr wichtig“, sagt Susanne Klockow, eine Lehrerin der Nashörner. „Die behinderten Kinder können im einen Raum dabeisitzen, gehen zwischendurch in den anderen Raum. Manche frühstücken. Manche brauchen Ruhe. Manche wollen malen. Und der Unterricht findet eigentlich in beiden Räumen statt. Es verwischt sich. Das ist Kooperation.“

In den Bremer Grundschulen warten schon die nächsten Kooperationsklassen auf weitere solche Räume. „Wir müssen bauen“, sagt Bringfriede Kahrs dazu. Doch noch seien keine Baumaßnahmen geplant. „Da sind nun auch die Schulen zur Zusammenarbeit aufgefordert, vielleicht muß man einfach mal zusammenrücken.“ Und die Senatorin schiebt noch hinterher: „Kooperation gibts nirgendwo sonst, und wir sind die Ärmsten.“ 700.000 Mark hat die „Schule der Nashörner“ inklusive Behindertentoilette gekostet.

Kunstgrößen aus der ganzen Welt – Will Quadflieg, Günter Walraff, Ingo Ahmels – werden nun in loser Folge bei den Nashörnern lehren und den Politikern mal lästig werden, hofft Edeltraud Tewes, die Klassenlehrerin der 5a. Rüdiger nickt dazu und nimmt ein Stück Kuchen. Silvia Plahl