: Seine Leuchtkraft macht ihn so ergiebig
■ Bremer Kunst im Internet: Die neue, virtuelle Galerie „Orte“ versendet künstlerische Arbeit in digitaler Form rund um den Globus – mit kleinen Schönheitsfehlern
Lang und gern klagen die Künstler, ihre Arbeit sei in den Bremer Galerien nicht hinreichend vertreten. Jetzt sind sie schlagartig sogar auf dem Weltmarkt präsent – wenn auch nur virtuell. Eine neue Adresse im globalen Computernetz macht das Wunder möglich: „Orte – für Kunst und Kultur im Internet“. Wer diesen Punkt im Netz ansteuert, landet in einer virtuellen Galerie Bremer Künstler, kann digitale Kopien ihrer Kunstwerke betrachten und Rundgänge durch Bremer Kunsthäuser absolvieren, ohne den warmen Platz am heimischen PC verlassen zu müssen.
Daß diese „Orte“ seit Oktober existieren, geht auf eine Privatinitiative zurück. Jürgen Drews, Videokünstler und vordem Betreiber einer realen Galerie im Ostertor, richtete das Plätzchen im Netz ein. Wenn Sony, Bertelsmann & Co. sich an die Kommerzialisierung des Netzes machen, so sein Gedanke, muß man sich beizeiten eine Nische für die freie Kunst schaffen. Drews rüstete den eigenen PC ein bißchen auf, schaffte ein Modem herbei sowie die Arbeiten von bisher sechs befreundeten Künstlerinnen und Künstlern. Auswahlkriterien: Drews' eigener Geschmack.
Wer also die „Orte“ anklickt, dem entblättern sich unter der Rubrik „Künstler“ z.B. Grafiken von Isolde Loock. Es erscheinen Menschenschädel, säuberlich der Breite nach durchgesäbelt, Zeile für Bildschirmzeile, ein Blick in den Kopf. Loock benutzte die kühle Ästhetik von Computer-Tomographien für ihre makabren „Porträts“. Bisher waren die Grafiken, zusammengefaßt in einem schmalen Katalog, nur einem handverlesenen Publikum zugänglich. Jetzt können Kunstinteressierte in aller Welt das Kunststück besehen. Freilich in verwandelter Form. Denn auf dem Monitor erhält die Kunst eine ganz neue Form – gröber in der Darstellung, zugleich aber fast feierlich illuminiert durch das Licht der Bildröhre.
Drews weiß um diese Verwandlung. „Es wird immer etwas Neues herauskommen“, wenn Kunst in digitale Daten zerlegt wird. Die Pinselspuren, die Physiognomie eines Gemäldes werden bei der Übertragung ebenso eingeebnet wie der Materialreiz einer Skulptur. Vielleicht ist es kein Zufall, daß die Bilder im „Orte“-Katalog bisher vielfach auf Fotografien basieren – ein Medium, das sich weit weniger der oberflächlichen Bildschirm-Darstellung widersetzt.
„Ich kann Leute verstehen, die mir sagen: Du kommst mit Deiner Videokamera nicht an meine Bilder ran!“, sagt Drews. Seine Galerie solle das Publikum ja auch nicht davon abhalten, die Originale aufzusuchen.
Um die zu finden, können Auswärtige in einer weiteren „Orte“-Rubrik stöbern. Unter der Option „Galerien“ findet man Selbstdarstellungen der interessanteren Bremer Läden, von der Galerie Herold bis zum experimentierfreudigen Kunstraum von Christian Just – der seine Besucher im Internet mit dem symbolträchtigen Porträtbild „Das Arschloch am PC“ empfängt. Man erfährt, daß Just unter Kunst das versteht, was sich in den Köpfen der Betrachter abspielt, und daß er noch in diesem Jahr eine „Kunst-Miet-Agentur“ aufmachen will. All das und mehr, in Wort und Bild. Am Ton arbeitet Drews noch, ebenso an der Möglichkeit, die Bilder in Bewegung zu setzen. Erst dann könnte man z.B. die Performancekunst von Silke Thoss in Aktion erleben, zumindest in groben Andeutungen – derzeit ist ihre Arbeit nur als Standbild präsent.
Doch solche vertrackten Übertragungsprobleme von der traditionellen Form in die neue, digitale erübrigen sich ja vielleicht einmal. Drews hofft auf Künstler, die die Charakteristika des Computernetzes für ihre Arbeit nutzen. Was heute als technischer Mangel erscheint, könnte dann im Kunstwerk verarbeitet werden. Die Leuchtkraft des Schirms, die Fähigkeit zum Dialog, die Überwindung räumlicher Entfernungen, die Auflösung in grafische Pixel – all das könnten Bausteine für veritable Medienkunstwerke sein. Auch dazu will Drews mit seinem „Orte“-Forum anstiften. Warum nicht mit einem Künstler auf den Osterinseln an einem gemeinsamen Computerkunstwerk arbeiten, zeitgleich und gut vernetzt?
Jetzt aber müssen erstmal die Bremer selbst dazu gebracht werden, die „Orte“ zu entdecken. Nur ein paar hundert Haushalte, schätzt Drews, haben hier überhaupt einen Zugang zum Internet. Deswegen will er die virtuellen „Orte“ doch wieder an einem physischen Ort verankern. Vielleicht im „Lichthaus“, mit ein bis zwei Workstations samt Gebrauchsanweisung und vor allem der kryptisch anmutenden Adresse der „Orte“: http://www.is-bremen.de/ßorte .
Thomas Wolff
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