Keine Chance auf Geld aus Brüssel

■ Keine Illusionen über Millionenspritzen: Die Europa-Abgeordnete Karin Jöns im Interview

Mittwoch morgen: Der Vulkan geht ins Vergleichsverfahren, und Bürgermeister Henning Scherf gibt seine Regierungserklärung ab. Darin fordert er eindringlich Hilfen – von den anderen Ländern, vom Bund, von der EU. Mittwoch abend: EU-Wettbewerbskommissar Karel van Miert gibt eine Pressekonferenz. Und er wird bemerkenswert scharf. Der Vulkan soll die von der Bundesregierung bezahlten Beihilfen für die Ost-Werften, die offenbar im leeren Portemonnaie des Verbundes untergegangen sind, gefälligst wieder zurückzahlen. Wir redeten mit der langjährigen Chefin des Bremer Brüssel-Büros und jetzigen Europa-Abgeordneten Karin Jöns.

taz: Einerseits fordert Scherf Hilfen von der EU, andererseits scheint van Miert stinksauer auf Bremen zu sein. Warum sind wir so im Verschiß?

Karin Jöns: Das klingt so, stimmt. Aber eigentlich ist er uns wohlgesonnen.

Ich höre, die halten sich nur noch die Ohren zu, wenn sie was von Bremen hören.

Ich kann den guten Karel van Miert gut verstehen. Er ist böse, und das ja wohl zu Recht. Der ist einfach betrogen worden. Die Kommision ist ja nun lange genug dabei, Informationen zu erbitten. Bei allem Verständnis, wenn da jetzt ne ganze Zeit kein Vorstand war: Die Fakten sind ja wohl bis heute noch nicht eindeutig auf dem Tisch, wo denn die Gelder gelandet sind, die aus dem Osten in den Westen geflossen sind.

Erst war die Rede von 850 Millionen, jetzt sollen es nur noch 600 Millionen sein. Wie kommt van Miert auf die Zahlen, wenn die ihm noch nichts vorgelegt haben?

Das ist doch die Frage, wie ob der Vulkan die Karten offen auf den Tisch gelegt hat. Das ist ja nun sehr schwierig. Die Buchführung ist ja anscheinend nicht klar. Ich sehe die einzige Chance nur darin, daß der Vulkan klipp und klar sagt: Da und da sind die Gelder in den Westen geflossen. Dann kann van Miert nur noch eine Frist festlegen, bis wann sie zurückzuzahlen sind. Das ist der einzige Spielraum, den er hat.

Also: Rückfordern muß er?

Er muß. Und Beihilfen, damit das einmal klar ist, können nicht aus Brüssel kommen, schon gar nicht für den Schiffbau. Auch sonst dürfen keine staatlichen Beihilfen bezahlt werden. Die Werften in Mecklenburg-Vorpommern haben eine Ausnahmeregelung bekommen. Und zwar, weil ihnen bei der Umstellung von der Planwirtschaft auf die Marktwirtschaft geholfen werden sollte.

Von daher hat Bremen und hat der Vulkan gar nichts aus Brüssel zu erwarten.

Genau.

Außer Ärger.

Van Miert kann doch nicht einfach die Augen zumachen. Damit würde er gegen den EWG-Vertrag und gegen den Vertrag von Maastricht verstoßen. Eigentlich dürften Schiffbauhilfen nach dem OECD-Abkommen schon gar nicht mehr gezahlt werden. Das Abkommen tritt wahrscheinlich erst im Herbst in Kraft, obwohl es eigentlich schon am 1.1.1996 hätte gelten sollen. Ich denke, im Grunde genommen müßte man froh über dieses Abkommen sein, denn es soll für fairen Wettbewerb sorgen. Die EU erklärt sich mit den anderen Schiffbaunationen bereit, dem Subventionswettlauf ein Ende zu bereiten. Und ein Kommissar, der an einer solchen Regelung arbeitet, der kann doch jetzt nicht die Augen zumachen.

Mit anderen Worten: Selbst wenn die Bundesregierung noch Geld in den Schiffbau stecken wollte, sie dürfte es gar nicht.

So ist es. Sie kann nur Bürgschaften leisten oder regionalpolitische Beihilfen zahlen, zum Beispiel für Ersatzarbeitsplätze. Aber auch das muß der Bund in Brüssel genehmigen lassen. Dahinter steht immer die Frage: Ist das wettbewerbsverzerrend oder nicht.

Aber van Miert scheint ja auf Bremen insgesamt sauer zu sein, nicht nur auf den Vulkan.

Der Karel ist noch mehr verstimmt, weil: Es ist ja nicht das erste Mal, daß Bremen kommt, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wenn man sieht, wie andere Nationen, die auch Probleme haben, mit der Kommission umgehen und wenn man selbst weiß, wie man mit den Kommissaren reden kann – im Prinzip sind die ja offen für unsere Sorgen und Nöte...

...soll heißen: Man muß nur mit ihnen reden.

Ja, es verhandelt sich leichter, wenn man sich kennt. Gut, wir haben einen neuen Senat, aber ich kann nicht verstehen, warum der Wirtschaftssenator noch keinen Antrittsbesuch bei diesem für Bremen so wichtigen Kommissar gemacht hat.

Dafür hat er doch extra einen Staatsrat gekriegt.

Der war aber wohl an den entscheidenden Tagen auch nicht in seinem Büro, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Ich will ja zugestehen, daß er dann vielleicht nichts hätte retten können. Das ist Verhandlungssache des Vulkan.

Man kann gut Wetter machen.

Man kann sich in solchen Situationen das Leben erschweren und man kann es sich erleichtern.

Nochmal zurück: Wenn die Spielräume der Kommission so eng sind, dann hat der Schiffbau in Bremen keine Chance. Oder hat die EU noch Spielräume einzugreifen, um das industrielle Potential zu retten, was noch zu retten ist?

Brüssel kann nur flankierend helfen: Zum Beispiel beim Schaffen von Ersatzarbeitsplätzen. Das wird aber sehr schwer. Ich sitze im Haushaltsausschuß, ich weiß gar nicht, wo die Gelder herkommen sollen. Der Haushalt der EU ist anderthalbmal so groß wie der Haushalt von Nordrhein-Westfalen. Was wollen Sie denn mit 86 Milliarden ECU (= rund 172 Milliarden Mark, d. Red.) machen? Der einzige Spielraum, der schnell da ist..

..wir reden von Tagen...

...da ist sicher nichts zu machen. Aber für eine längerfristiger Perspektive: Wenn jetzt hier und da umstrukturiert werden muß und Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden sollen, dann gibt es ja Fördertöpfe. Es gibt den Regionalfonds, den Sozialfonds, von denen Bremen profitiert. Was Bremen jetzt kriegt, das reicht aber dann nicht mehr. Da ist die Solidarität der Länder gefordert. Das europäische Geld, das nach Bonn geht, das muß unter den antragsberechtigten Ländern verteilt werden. Und dann muß Bremen mit dem Bund und beispielsweise mit Nordrhein-Westfalen verhandeln, was andere Länder entbehren können. Da beneide ich denm zuständigen Wirtschaftssenator nicht. Das wird ganz ganz ganz schwierig.

Klingt alles ziemlich verfahren.

Man könnte sich fragen, ob man nicht früher hätte agieren sollen. Das Management muß vor Ort sein und mit dem Kommissar reden, und das Brüssel-Büro des Vulkan muß die Kontakte zur Beamtenebene pflegen. So läuft das doch.

Ich kann nur sagen: Für seine Region oder auch für Konzerne in der Krise zu lobbyieren, das ist ja auch eine Sache des Wirtschaftssenators. Das hätte anders laufen müssen, und das hätte uns vielleicht vieles erleichtert. Denn jetzt stehen die Arbeitnehmer im Regen. Was nützen denen jetzt Solidaritätsbekundungen?

Fragen: Jochen Grabler