Freiherr außer Kontrolle

■ "Focus" schickte Abenteurer auf Recherche nach Kaschmir, der jetzt deutsche Geiseln befreien will

Es gibt noch wahre Helden. Selbstlosigkeit, Edelmut – diese Dinge sind, wir hatten es ja gehofft, doch noch nicht ausgestorben. Zwei Männer, meldete die Nachrichtenagentur AFP am Dienstag, hätten sich als Austausch für die in Kaschmir festgehaltenen Geiseln angeboten. Peter Freiherr von Zschinsky und sein Begleiter Jürgen Sick geben an, setzte AP noch drauf, Reporter und Assistent im Auftrag des Magazins Focus zu sein.

„In Allahs und der Menschlichkeit Namen“ forderten sie die Separatistengruppe „Al-Faran“ in der Zeitung Daily Aftab auf, die vier Männer freizulassen. Daily Aftab ist eine führende Zeitung in der Region um Srinagar, wo Dirk Hasert, Donald Hutchings, Keith Mangan und Paul Wells seit sieben Monaten in Gefangenschaft gehalten werden. Doch „Al-Faran“ hat sich noch nicht gemeldet. Die Entführer wollen mit den freiwilligen Austausch-Geiseln offenbar nichts zu tun haben.

Auch die Focus-Redaktion nicht – oder besser: nicht mehr. Man habe zwar einen Vertrag mit Peter von Zschinsky gehabt, der sei aber inzwischen aufgelöst. Und Gegenstand des Vertrages war nicht ein abenteuerlicher Geiselaustausch, sondern eine Recherche in Kaschmir. Der Grund für die Vertragskündigung: „gewisse Verhaltensweisen“ des Freiherrn, über die das Magazin sich gegenüber der taz nicht äußern wollte. Des Barons Begleiter Jürgen Sick ist Focus nicht einmal bekannt – ist er vielleicht sein Faktotum?

Hätte sich die Redaktion genauer über den Adeligen informiert, wäre es wohl nie zu einem Vertrag gekommen. Er ist in Journalistenkreisen nämlich kein Unbekannter. Im vergangenen Winter ging von Zschinsky in verschiedenen Redaktionen hausieren. Im Gepäck hatte er ein Interview mit dem Verantwortlichen eines Hilfstransportes der „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte“ nach Bihać – ihm selbst.

Die bosnischen Serben hatten ihn im Januar drei Wochen lang festgehalten und mißhandelt, ihm alle Hilfsgüter, den Mercedes-Jeep und sein Satellitentelefon abgenommen. Menschenrechtsorganisationen intervenierten für den Freiherrn, obwohl er, gegen alle Warnungen, ohne Akkreditierung als Journalist herumgefahren war und versucht hatte, sich an allen UN-Posten vorbei nach Bihać durchzuschlagen.

Weil „Zschinsky fragt, Zschinsky antwortet“ doch sehr unkritisch gewirkt hätte, ließ der findige Freiherr in dem Interview mit seiner Story einfach den Namen des Fragers frei („Das Gespräch führte ...“). Der Abnehmer brauchte nur noch einen Namen einzusetzen. Die taz lehnte ab. Einen gewissen Ruf hat sich von Zschinsky auch durch eine in Tango erschienene Kurdistan-Reportage erworben. Auf einem Foto posierte er Arm in Arm mit einem PKK-Führer, er selbst hatte zwei Finger zum Victory-Zeichen erhoben. Daraufhin wurde er in türkischen Zeitungen heftig angegriffen. Wieder suchte er Unterstützung.

Anfang des Jahres hat es von Zschinsky noch einmal geschafft, in der überregionalen Presse Erwähnung zu finden. Der Spiegel berichtete über eine Aktion des inzwischen zum Präsidenten der von ihm kürzlich gegründeten Hilfsorganisation „United Humanitas Nothilfe e. V.“ avancierten Selbstdarstellers. Wer bei diesen Nothelfern anruft, erreicht zwar niemanden, kann aber von Zschinsky im O-Ton hören: Es läuft der Anrufbeantworter auf seinem „Schloß Neufra“ (Adresse: 88499 Neufra, Schloßberg 20).

Für eine Söldnertruppe zur Befreiung der Geiseln suchte Präsident von Zschinsky zu Jahresbeginn die Unterstützung der Stadtverwaltung von Bad Langensalza (Thüringen), Heimatort des entführten Dirk Hasert. Der Bürgermeister zur taz: „Der ist hier ganz seriös aufgetreten.“ Kommerziellen Sponsoren bot er Werbung der besonderen Art – auf den Ausrüstungsgegenständen der Befreier könnten ihre Logos prangen.

Hat Focus etwa durch die Lektüre des Spiegel von den eigentümlichen Arbeitsmethoden des Vertragspartners erfahren? Wann der Vertrag gelöst wurde, war bei Focus nicht zu erfahren. Sagen will man dort nur soviel: Focus hat dem rasenden Reporter den Vertrag gekündigt und ihn auch „zurückgerufen“. Doch der Freiherr war offenbar schon außer Kontrolle. Sein Satellitentelefon ist abgeschaltet. Er bleibt, wo er ist. Im Namen der Selbstdarstellung. Stefan Kuzmany