Das letzte sozialliberale Biotop

Jahrelang gehörten sie zu den Fundis in der Partei, nun streben auch die rheinland-pfälzischen Bündnisgrünen in die Regierung. Doch Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) hält lieber an einer schwindsüchtigen FDP fest  ■ Aus Mainz Klaus-Peter Klingelschmitt

Die Bündnisgrünen in Rheinland-Pfalz haben, nach knapp zehn Jahren braver Oppositionsarbeit im Landtag, Blut geleckt. „Realpolitisch gewendet“, so Landesvorstandssprecher Mehdi Jafari-Gorzini, wollen die früher in der Bundespartei als „Banalos“ verspotteten diesmal an die Macht. Ihr Ziel: Am 24. März bei den Wahlen so stark wie nur möglich in den neuen Landtag einziehen und dann mit Ministerpräsident Kurt Beck und seinen Sozialdemokraten koalieren.

Ein vielleicht zu hoch gestecktes Ziel: Denn erstens will Beck mit den Bündnisgrünen kein Bündnis eingehen, sondern die, so Beck, „erfolgreiche Koalition“ mit der FDP fortsetzen. Und zweitens stehen die Bündnisgrünen, glaubt man den letzten Umfragen, nicht so unerschütterlich in der politischen Landschaft, wie sie das selbst gerne hätten: Von „rund zehn Prozent“ der WählerInnenstimmen sind sie noch vor vier Wochen fest ausgegangen. Nach der letzten Erhebung von Anfang Februar wurden ihnen im März neun Prozent prognostiziert. Und nach Gesprächen mit renommierten Wahlforschern befürchtet der Landesvorstand heute gar ein Landtagswahlergebnis von nur sieben bis acht Prozent. Bei den Landtagswahlen 1991 kamen die Bündnisgrünen auf schlappe 6,4 Prozent.

Das würde gerade noch reichen für die angestrebte rot-grüne Koalition – vorausgesetzt, die SPD erreicht tatsächlich die prognostizierten 43 Prozent. Gemessen am Abschneiden der SPD bei den jüngsten Wahlen in den anderen Bundesländern wäre das ein durchaus beachtliches Ergebnis, auch wenn Beck mit seinem bodenständigen Charisma gegenüber den letzten Landtagswahlen 1,8 Prozentpunkte weniger erzielen würde. Die Bündnisgrünen bauen ihre Koalitionshoffnung auf das Abschneiden der FDP. Den Liberalen, da ist sich die Spitzenkandidatin der Bündnisgrünen, Elke Kiltz, sicher, werde auch in Rheinland-Pfalz das Sterbeglöckchen geläutet. Und dann komme Beck an ihrer Partei nicht mehr vorbei. Bei mageren 4,5 Prozent (1991: 6,9 Prozent) sehen die Wahlforscher die FDP derzeit krebsen. Und mit einem gezielten Wahlkampf gegen die „desaströse Politik“ (Kiltz) von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) wollen die Bündnisgrünen bis zum Wahltag dafür sorgen, daß das so bleibt.

Bis auf Gisela Bill und Friedel Grützmacher, die beide schon der amtierenden Oppositionsfraktion im Landtag angehören, haben die Bündnisgrünen „neue starke Frauen“ (Kiltz) an die Spitzen der vier Landeslisten gewählt – alles gestandene Kommunalpolitikerinnen. Gerade das Engagement in der Kommunalpolitik, so Spitzenkandidatin Ise Thomas aus den Bezirken Andernach, Neuwied und Koblenz, öffne nämlich den Blick auf die tatsächlichen Probleme der Menschen des Landes. Und die seien gewaltig: Arbeitslosigkeit, fehlende Verkehrsverbindungen in strukturschwachen Regionen, soziale und kulturelle Defizite. Die Partei müsse sich deshalb als „Dienstleistungsunternehmen“ für die BürgerInnen des Landes begreifen, sagt Thomas. Doch wer Dienstleistungen anbiete, müsse auch unternehmerische Verantwortung übernehmen wollen: am liebsten am Kabinettstisch von Ministerpräsident Beck.

Daß sie mitregieren wollen in Mainz, ist innerhalb der noch vor Jahren eher fundamantalistisch orientierten Partei inzwischen unumstritten. Und daß der Partner nur SPD heißen kann, auch. Der Traum etwa von Dany Cohn-Bendit, von Rheinland-Pfalz als einem Versuchsfeld für schwarz-grüne Experimente, ist also längst ausgeträumt. Zuviel an politischen Inhalten und an Ideologie würden beide Parteien trennen, sagten Jafari-Gorzini und der Spitzenkandidat der Union, Johannes Gerster, übereinstimmend.

Die Union, der von den Auguren 40 Prozentpunkte progostiziert werden (1991: 38,7 Prozent), setzt ihre Hoffnungen – wie Beck – auf den Wiedereinzug der FDP in den Landtag. Gersters Rechung ist einfach und auf die wendische FDP zugeschnitten: Sollte die Union stärkste Fraktion im Landtag werden, wird der Parteitagsbeschluß der FDP, erneut die Koalition mit der SPD anzustreben, im März Schnee vom Februar sein.

Doch ob Beck oder Gerster ihre Optionen werden wahrnehmen können, hängt davon ab, ob die FDP den Sprung über die Fünfprozenthürde überhaupt schafft. Und wenn sie ihn knapp schafft, ob es dann rechnerisch reicht für eine Neuauflage einer rot-gelben Koalition oder für die Installation einer schwarz-gelben Landesregierung. Die FDP selbst hat sich auf ihrem Landesparteitag am 3. Februar geschlossen für das Bündnis mit der SPD ausgesprochen, auch wenn diese Koalition kaum in die politische Landschaft der Bundesrepublik paßt. Brüderle weiß, daß er die zurückliegenden fünf Jahre der Regierungsbeteiligung im Wahlkampf als Erfolgsstory verkaufen muß. Und deshalb war die Entscheidung von Mainz, mit einer klaren Koalitionsaussage zugunsten der SPD diesen Wahlkampf zu bestreiten, zwingend. Wie überall in Deutschland laufen der FDP auch in Rheinland-Pfalz die WählerInnen davon. Die Basis der Partei in den Kommunen bröckelt. Brüderle glaubt, mit einer Konzentration seiner Landespartei auf landespolitische Themen, mit „rheinland-pfälzischer Gelassenheit und mit Humor“, den selbstzerstörerischen Machtkämpfen an der Spitze der FDP aus dem Weg gehen zu können.

Daß ihre Verhandlungsposition mit Beck bei einem Scheitern der FDP exzellent sein wird, wissen die Bündnisgrünen. Die FDP ist der Konkurrent beim Kampf um die WählerInnenstimmen – und Brüderle bietet reichlich Angriffsfläche.

An Spesen und Reisekosten hat der Wirtschaftsminister in den vergangen knapp fünf Jahren mehr Geld durchgebracht, als alle anderen Minister inklusive der Ministerpräsidenten Scharping und Beck zusammen: Insgesamt 475.000 Mark. Und das kommt nicht gut an beim Wahlvolk in einem Land, dessen Arbeitslosenquote über dem Durchschnitt der süddeutschen Bundesländer liegt. „Hier zeigt sich einmal mehr, daß die FDP mit viel Geld wenig bewegt“, frozzelte publikumswirksam die Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Landtag, Friedel Grützmacher. Und auch als Wirtschaftsminister sei Brüderle „eine Katastrophe für das Land“ gewesen: 56 Millionen Mark Verluste beim Betrieb und der Privatisierung der Ludwigshafener Sendezentrale AKK, in den Sand gesetzte Millionen für Ausbau, Betrieb und Privatisierung des Pleiteprojekts Exmilitärflugplatz Hahn, verlorengegangene Landesbürgschaften für die gescheiterte Konversion bei der Umstrukturierung der Expanzerwerke (MIP) in Mainz – und eine Konzentration der ohnehin knappen Landesmittel auf den Straßen- und Autobahnbau.

Die erste Quittung dafür wurde Brüderle bereits vor den Landtagswahlen serviert. Nach einer Umfrage des Südwestfunks befürworten weit weniger Menschen in Rheinland-Pfalz eine Koalition der SPD mit der FDP als eine sozial-ökologische Koalition zwischen Beck und der neuen Frauenriege der Bündnisgrünen.

Die Chancen für ein sozial-ökologisches Bündnis stehen also so schlecht nicht in Rheinland-Pfalz. Daß Beck noch von der FDP als seinem Wunschpartner spricht, haken die Bündnisgrünen unter dem Titel „Wahlkampfstrategie“ ab. „Unter dem Tisch“, so umschreibt Jafari-Gorzini die neue sozialdemokratischen Doppelstrategie, versuchten die Sozis im Landtag schon heftig, sie zu streicheln. Doch bis zum Wahlabend, sagt Elke Kiltz augenzwinkernd, werde auch den Sozis noch kräftig in die Hände gebissen.