Siemens ist eine Pensionskasse

Hauptversammlung der Aktionäre des größten deutschen Elektrokonzerns: Die Gewinne stammten auch im letzten Jahr wieder vorwiegend aus den Geldgeschäften der Finanzabteilung  ■ Aus München Felix Berth

Heinrich von Pierer blickt in den Fernen Osten. In Asien will der Vorstandsschef der Siemens AG für den „Aufbau und die Verlagerung von Produktionsstätten“ 5 Milliarden Mark einsetzen. „Mehr Wertschöpfung vor Ort“, sagte von Pierer gestern auf der Hauptversammlung der Aktionäre in München, sei nicht nur aus Kostengründen oder wegen der Währungsparitäten notwendig. Mit „Exportleistungen allein sei das angepeilte Wachstum des Unternehmens“ nicht zu schaffen.

Als ob Siemens von seinen materiellen Erzeugnissen leben würde. Die paar Zahlen, die den Aktionären gestern wieder präsentiert wurden, bestätigen auch in diesem Jahr den uralten Witz, daß Siemens die einzige deutsche Bank mit eigener Elektroabteilung ist. Im Geschäftsbericht stehen unter der Rubrik „Finanzergebnis“ etwa 1,5 Milliarden Mark. Dieses Geld hat Siemens demnach allein durchs Geldanlegen verdient.

Noch drastischer wirkt der Posten „Liquidität“. Dort sind satte 24 Milliarden Mark bilanziert. Das entspricht gut einem Viertel dessen, was der Konzern mit seinen 370.000 Mitarbeitern weltweit in einem Jahr umsetzt.

700 Millionen Mark Gewinn der Hausbank

Als erstes und bisher einziges deutsches Unternehmen hat Siemens vor drei Jahren tatsächlich eine Bank gegründet: Die „Siemens Kapitalanlagegesellschaft“ (SKAG). Hier arbeiten etwa zwanzig Finanzmanager und verwalten über 20 Milliarden Mark. Wieviel Gewinn diese kleine Abteilung abwirft, läßt sich der Bilanz nicht genau entnehmen – es müssen jedoch über 700 Millionen sein.

Lediglich mit den neuerdings sehr profitablen Halbleitern hat Siemens mehr verdient als durch Geldgeschäfte – nämlich etwa eine Milliarde Mark. Alle anderen Bereiche liegen weit dahinter: Die Automatisierungstechnik bringt 400 Millionen; selbst das boomende Geschäft mit der Kommunikation liefert mit 600 Millionen Mark einen geringeren Ertrag.

Läßt sich wirklich nur noch mit Geld Geld verdienen, statt mit deutscher Wertarbeit? Der Pressesprecher würde gequält aufstöhnen. So schön das Klischee vom „Bankhaus Siemens“ sein mag: Es ist höchstens zur Hälfte korrekt.

Denn was bei Siemens „Liquidität“ heißt, sind keine verfügbaren Mittel, die Manager bloß deshalb nicht investieren, weil ihnen nichts Besseres einfällt. Es sind zum großen Teil jene Milliarden, mit denen die hauseigenen Betriebsrenten gezahlt werden sollen. Das seien, so kalkuliert Heinz Neubürger aus der Siemens-Finanzabteilung, momentan 17,7 Milliarden Mark. „Damit kann man eben keine Chipfabrik bauen.“

Tatsächlich liquide wären demnach etwa 6 Milliarden Mark. „Das ist bei Siemens weniger als ein Monatsumsatz – und der wird selbst in der BWL-Literatur als unterste Grenze angegeben“, sagt Neubürger. Doch warum müssen 17,7 Milliarden Mark für Pensionen auf der hohen Kante liegen? Bei BMW sind es 2, bei Daimler-Benz 5 Milliarden. Die Antwort darauf ist zum Teil in der Konzerngeschichte, zum Teil in diversen Nischen des deutschen Bilanzrechts zu finden.

Die Tradition des Hauses bringt schöne Zinsen

Seit der Weimarer Republik verspricht der Konzern seinen Mitarbeitern üppige Pensionen – häufig mehr als die Konkurrenz. Außerdem verlangt das deutsche Recht nicht, daß ein Betrieb wirklich alle Pensionsmilliarden ausweist; was vor 1987 zugesagt wurde, darf „vergessen“ werden. „Deshalb sind solche einfachen Zahlen aus verschiedenen Betrieben kaum vergleichbar“, sagt Christoph Hütten, Betriebswirt an der Uni Saarbrücken.

Die Siemens-Tradition lohnt sich. Jedes Jahr erneut zu bestaunen ist die Summe der Zinsen, Und gewachsen ist auch das Wissen, wie Geld verwaltet wird. Die SKAG leistet für den Konzern, was die Wertpapierexperten der Bankhäuser erledigen. Einige Broker in der Münchner Zentrale entscheiden, wie die 20 Pensionsmilliarden angelegt werden, ob in Aktien, in Wertpapieren oder in bestimmten Fonds. Mit Stolz sagt Heinz Neubürger, deswegen sei „die Kostenquote in der Verwaltung dieser Gelder sehr gut“ – die Banken verdienen daran weniger Gebühren. Deshalb darf die SKAG mittlerweile auch die gesamten Pensionsmilliarden verwalten, obwohl bei ihrer Gründung nur 6 Milliarden in ihre Töpfe wandern sollten. Die Ausweitung wurde nicht in Presseerklärungen gefeiert – die Nachricht würde ja nur das Klischee festigen...