Verbote allein helfen nicht

Unicef: Die 200 Millionen Kinder der Welt, die arbeiten und Geld verdienen müssen, brauchen Alternativen. Boykottaufrufe greifen zu kurz  ■ Von Jutta Lietsch

Gutgemeint ist oft das Gegenteil von gut. Wer zum Boykott gegen Waren aufruft, die von Kindern produziert werden, kann nach Ansicht des UNO-Kinderhilfswerkes Unicef in bester Absicht Schaden anrichten.

Handelssanktionen oder Verbote träfen oft gerade diejenigen, denen geholfen werden soll, sagte gestern der Geschäftsführer der deutschen Sektion von Unicef, Dietrich Garlichs. Als Beispiel nannte er Bangladesch. Dort habe allein die Androhung von Handelssanktionen durch die USA dazu geführt, daß seit 1993 etwa 50.000 Kinder aus 1.800 Textilfabriken entlassen wurden. Folge: Diese Kinder mußten sich eine andere Möglichkeit zum Geldverdienen suchen, als Straßenhändler oder Prostituierte. Sie landeten vom Regen in der Traufe. Nur wenn gewährleistet werden kann, daß ältere Mitglieder ihrer Familie einen Arbeitsplatz erhalten, und wenn eine Möglichkeit zum Schulbesuch geschaffen wird, sei ein Kinderarbeitsverbot sinnvoll und durchsetzbar.

Der Unicef-Leiter in Bangladesch, Rolf Carriere, stellte gestern ein neues Programm vor, das gemeinsam mit dem Verband der bangladeschischen Textilhersteller und -exporteure und mit der Internationalen Arbeitsorganisation ILO entwickelt wurde: Im Januar dieses Jahres nahm die erste Klasse für ehemalige KinderarbeiterInnen aus der Textilindustrie in der Hauptstadt Dhaka den Unterricht auf.

Insgesamt 13.000 Kinder sollen schließlich in 400 Klassen grundlegende berufliche Fähigkeiten erwerben. Sie erhalten umgerechnet 10 Mark monatlich, was einem halben Lohn entspricht. Erwachsene Familienmitglieder sollen an ihrer Stelle in den jeweiligen Firmen arbeiten können. Die Betriebe verpflichten sich, keine Kinder unter 15 Jahren zu beschäftigen. Zwar haben die USA die angedrohten Handelssanktionen niemals angewendet, da der US-Kongreß dem entsprechenden Gesetzentwurf – der Harkin-Bill – nicht zugestimmt hat.

Dennoch zeigt das Beispiel Bangladesch, wie wirkungsvoll die Androhung von Verbraucherboykott oder Handelsmaßnahmen sein kann. Das hat auch das Möbelhaus Ikea zu spüren bekommen. Es blieb auf seinen Teppichen sitzen, nachdem Fernsehberichte die Arbeitsbedingungen der Kinder in den Knüpfereien zeigten. Ikea verpflichtete sich daraufhin, nur noch Teppiche zu verkaufen, die nicht aus Kinderarbeit stammen.

Wie Unicef glaubt auch die Kinderhilfsorganisation terre des hommes (tdh), daß den 200 Millionen Kindern der Welt, die die Armut zum Geldverdienen zwingt, mit einfachen Verboten nicht zu helfen ist. Wirkungsvoller seien positive Maßnahmen wie zum beispiel Handelspräferenzen für Produkte, die unter Einhaltung von Mindeststandards hergestellt werden.

Sinnvoll sind nach Ansicht der tdh-Mitarbeiterin Beate Scherrer auch Aktivitäten wie zum Beispiel die Rugmark-Kampagne, in der sich Hersteller und Importeure zusammengeschlossen haben, um Teppiche zu verkaufen, die nicht von Kindern geknüpft werden. Dazu gehört auch die Finanzierung von Schulbesuchen für Kinder. „Wenn den Kindern keine Alternativen angeboten werden, können Verbote nicht helfen“, meint Beate Scherrer.