„Versuch, mit einem Sieb Wasser zu schöpfen“

■ Dieter Vesper, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, zu den Ursachen des Milliardenlochs

taz: Herr Vesper, worin sehen Sie die Ursachen des Milliardenlochs im Berliner Haushalt?

Dieter Vesper: Die Hauptursachen liegen zum einen in den Belastungen, die durch die Vereinigung der beiden Stadthälften entstanden sind. Die Ostberliner Verwaltung mußte übernommen werden, es waren und sind zahlreiche Infrastrukturmaßnahmen notwendig. Auf der anderen Seite ist die Steuerkraft in Ostberlin noch sehr gering gewesen. Hinzu kommt, daß der Bund seine Bundeshilfe viel zu schnell zurückgefahren hat. Natürlich hat auch die Berliner Politik viel zu spät reagiert. Das Milliardenloch war absehbar.

Ist das auf Mißwirtschaft zurückzuführen? Das im Doppelhaushalt 95/96 gesetzte Sparziel von 2,3 Milliarden Mark ist bis heute nicht erreicht worden.

Das ist auf fehlende Kontrolle zurückzuführen. Die Politiker hätten Kontrollmöglichkeiten gehabt. Die Frage ist, warum sie diese nicht wahrgenommen haben.

Gab es zu viele Prestigeobjekte?

Sicher. Aber diese Ausgaben sind nur ein Grund unter vielen für die Misere. Man hat zuviel investiert und auf einmal begonnen.

Wie kann Ihrer Ansicht nach der Haushalt saniert werden?

Es ist dringend ein allgemeiner Konjunkturaufschwung erforderlich, der mehr Steuereinnahmen in die Kassen des Landes spült. Wenn nur die wirtschaftliche Einwicklung in der Region sehr günstig verläuft, bedeutet das nicht automatisch mehr Steuereinnahmen. Denn eine steigende Steuerkraft Berlins zieht geringere Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich nach sich.

Der geplante drastische Personalabbau wird sich aber negativ auf die Kaufkraft auswirken. Führt das nicht zu einem Spiraleffekt nach unten?

Das ist vollkommen richtig. Das Dilemma der Berliner Politik ist, daß das strukturelle Defizit, das sich in Berlin neben dem konjunkturbedingten aufgetan hat, in einer Phase auftritt, in der es nicht auftreten dürfte. Denn der Abbau des strukturellen Defizits führt genau zu dieser Spirale nach unten. Dann ähnelt der Versuch, die Defizite zu kürzen, dem Versuch, mit einem Sieb Wasser zu schöpfen.

Sie haben in Ihrem wöchentlichen Gutachten prognostiziert, daß Berlin Gefahr läuft, „jeglichen politischen Handlungsspielraum zu verlieren“.

Ich habe eine Modellrechnung gemacht und bin davon ausgegangen, daß die Konjunktur wieder Tritt faßt. Ich habe angenommen, daß die Einnahmen jährlich um sechs Prozent steigen und die Ausgaben konstant gehalten werden. Selbst dann kann das derzeitige Defizit von 11 Milliarden Mark, von dem 6 Milliarden durch Kredite gedeckt sind, bis zum Jahr 1999 lediglich um die Hälfte verringert werden. Nach dieser Rechnung wäre Berlin 1999 pro Kopf mit 22.000 Mark verschuldet. Das ist eine Größenordnung, die an Bremer Verhältnisse heranreicht. Dann tritt die Haushaltsnotlage ein. Dann müssen zur Milderung der Haushaltsnotlage Bundesergänzungszuweisungen gezahlt werden. Diese Mittel können nicht frei verwendet werden. Sie müssen für eine dauerhafte Verringerung des Defizits eingesetzt werden.

Das heißt, selbst bei diesen günstigen Annahmen und bei einem harten Sparkurs ist das Berliner Defizit bis 1999 nur zu halbieren?

Ja. Ich denke, die Modellrechnung ist nicht unrealistisch. Interview: Dorothee Winden