Die Rolle der toten Mutter

■ Im Bremer Mordprozeß wurde gestern die Persönlichkeit der Ermordeten hinterfragt

„Wurde Ihre Vaterschaft nie genau überprüft?“ fragte gestern die Verteidigerin der des Mordes angeklagten Malaiin den Ehemann der Ermordeten. (vgl. taz v. 21./22.2.) „Nein“, entgegnete dieser überrascht. Er habe mit seiner Frau eine „hervorragende“ Beziehung geführt und sei davon ausgegangen, daß er der Vater des Kindes ist – dessentwegen die Angeklagte seine Frau erdrosselt haben soll. Die Verteidigerin blieb beharrlich und lenkte die Vernehmung in eine neue Richtung: „Wissen Sie von einer Reise Ihrer Frau nach Griechenland?“ – „Könnte Ihre Frau möglicherweise ein Verhältnis gehabt haben?“ Der Mann der Toten schüttelte etwas verstört den Kopf. „Das hätte sie mir gesagt.“

In der Fortsetzung des mysteriösen Bremer Mordfalles vom Juli vergangenen Jahres wollten gestern vormittag Richterin, Staatsanwalt und Verteidigung Näheres über die Persönlichkeit der Ermordeten erfahren. Sämtliche Fragen drehten sich darum, inwieweit die Frau durch ihr Verhalten möglicherweise das schreckliche Geschehen mit beeinflußt hat: „Haben Sie und Ihre Frau Drogen genommen?“ – „Das ist schon lange her, da haben wir Haschisch geraucht“, antwortete der Ehemann. „In letzter Zeit jedoch nicht.“ – „Könnte sie es heimlich getan haben?“ – „Nein, jedenfalls nicht,daß ich wüßte.“

Immer noch ist unklar, welche der beiden Frauen, die Angeklagte oder die Ermordete selbst, das seltsame meditative Ritual initiiert hat, das mit dem Zusammenbinden von Händen und Füßen der jungen Mutter begann und mit ihrer Erdrosselung geendet hat. „War Ihre Frau an Religion interessiert?“ – so die Frage an den Ehemann. Keineswegs, verneinte dieser. Allerdings habe er zu Hause einen gelben Stoffstreifen sowie einige Zitronen in einer Tragetasche gefunden. Und auch einen weiteren zusammengeknüllten, gelben Stoff, in dem sich etwas befand, das „wie ein Stück Fleisch“ aussah. Damit bestätigte er die Aussage der Angeklagten, daß die beiden Frauen viel mit farbigen Stoffen hantiert haben, daß auch Zitronen bzw. Limonen dabei eine Rolle spielten, daß die junge Mutter nach der Geburt ihres Kindes dessen Nabelschnur in einem gelben Stück Stoff aufbewahrt hat. Ob seine Frau auch spirituelle Literatur besessen habe, konnte der Ehemann nicht genau sagen.

Es war nicht entschlüsseln, welche der beiden Frauen den größeren Anteil an den seltsam anmutenden, gemeinsam ausgeführten „Zeremonien“ hatte. Es kann jedoch auch sein, daß vieles immer noch unverständlich ist, weil während des Prozesses immer wieder Übersetzungsprobleme im Raum stehen blieben. Die Angeklagte hatte die Rituale auf Malaiisch beschrieben.

Noch einmal wurde deshalb gestern nachmittag auch der Freund der Angeklagten in den Zeugenstand gerufen. „Wissen Sie etwas über Aberglaube und entsprechendes Verhalten in der Familie der Angeklagten, hat sie Ihnen davon erzählt?“ Sie hätten Karten gelegt, und Geister beschworen – so jedenfalls habe er es sich ihren Erzählungen zufolge vorgestellt. Einen Buddha-Anhänger habe sie um den Hals getragen. „Jedenfalls sah das wie eine kleine Statue aus, in Gold, und sie hat gesagt, das sei ein Buddha.“ Auch Zitronen habe es im gemeinsamen Haushalt immer gegeben, so der Freund der Angeklagten, „weil sie die immer haben wollte“.

Da die Polizeibeamten bis zur Verhandlung das Alibi des Freundes nicht überprüft hatten, legte er gestern dem Gericht einige Tachoscheiben vor. Er hatte angegeben, er sei am Tag der Tat mit dem eigenen Lkw nach Magdeburg und zurück gefahren. Doch konnte die Authentizität der Scheiben ad hoc nicht belegt werden.

Die Verteidigerin fragte den 27jährigen auch nach dem Verbleib der Kleidung, die er am besagten Tag getragen hat. „Was trugen Sie?“ Der junge Mann sah sie nicht an: „Eine Jeans, ein T-Shirt.“ – „Haben Sie die Kleidung noch?“ – „Ich weiß nicht, ich habe mehrere Jeans, da komm ich nicht klar damit.“ – „Warum haben Sie sich nach dem besagten Tag neue Kleidung gekauft?“ – „Ich konnte nicht in die Wohnung, ich brauchte aber was zum Anziehen.“ – „Hat die Polizei Sie nach Ihrer Arbeitskleidung gefragt?“ – „Nein.“ – „Sie sollten sie auch nicht dalassen?“ – Der junge Mann lacht kurz auf. – „Nein.“

Zwei neue Indizien brachte er jedoch gestern noch mit in das Gericht: Einen Brief an die Angeklagte, den er in seinem Schreibtisch gefunden hatte, und eine Kassette mit Telefongesprächen, die sie geführt hat, wie er sagte. In dem Brief, der gestern noch geöffnet wurde, schreibt ein früherer Kollege von einer Schwangerschaft der Angeklagten im Jahre 93. Sie stritt diese gestern sogleich ab. Der Inhalt der Kassette wurde gestern noch nicht überprüft.

Nächste Woche wird der Prozeß fortgesetzt – unter anderem wird dann ein Religions-Sachverständiger gehört. sip