„Fühlen und für sich behalten“

■ Lange verpönt und verschwiegen: Es gibt eine erotische Spannung zwischen MedizinerInnen und Patentinnen. Auf einem Kongreß über Frauenheilkunde wurde das Tabu in dieser Woche gebrochen.

Erfahrungen wurden viele gesammelt, doch kaum jemand spricht offen drüber: Sexualität oder Erotik in der Beziehung zwischen Arzt/Ärztin und Patientin darf es einfach nicht geben. Punkt. Eine öffentliche Diskussion über dieses Thema hat es bislang bundesweit noch nicht gegeben. Die 25. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe, die soeben in Bremen stattfindet, brach mit diesem Tabu: Referate, Arbeits- und Selbsterfahrungsgruppen bieten Anstöße zu kritischer Reflexion.

Was geht in einem Gynäkologen vor, wenn er die intimen Bereiche eines weiblichen Körpers anschaut, berührt, untersucht? Und wie erleben umgekehrt Frauen diesen körperbezogenen Kontakt, der sonst nur in sexuellen Beziehungen stattfindet? Darüber, erklärte der Schweizer Professor Dr. Johannes Bitzer, Gynäkologe und Psychotherapeut, sei schon viel spekuliert worden.

„Das Terrain ist angefüllt mit Phantasien, Vorurteilen, Projektionen und einer eindeutig spürbaren Lust aller Beteiligten am Enthüllen.“ Das Bild vom Gynäkologen reiche vom verklemmten Voyeur über den narzißtisch gestörten Don Juan zum überlegenen Frauenkenner bis hin zum abgebrühten Techniker, den nichts mehr reizen kann. Das Bild der Patientin variiere ebenso: sie sei die ausgebeutete Hilflose, die in den Gynäkologen verliebte Romantikerin, die Raffinierte oder die verführerisch dominante Hysterische. Schräge Bilder, die die Abwehr von Ängsten dokumentieren.

Den klaren Verboten der ärztlichen Ethik (der Eid des Hippokrates verbietet sexuelles Agieren in der Arzt-Patientinnen-Beziehung), stehen vielfältige, oftmals sehr diffuse Gefühle gegenüber, die zwischen Arzt/Ärztin und der Patientin entstehen und als Ab- oder Zuneigung erfahren werden. Gefühle, deren Existenz manche Ärzte aus Angst und Unsicherheit leugnen, bemerkte die Hamburger Psychoanalytikerin und Diplompsychologin Dr. Viola Frick-Bruder.

Frick-Bruder führte aus: „Werden sie akzeptiert, so können sie bewußt wahrgenommen und in einem guten Sinn verstanden und damit auch kontrolliert werden. Denn nicht der Gedanke oder der sexuelle Wunsch sind schädlich, sondern Handlungen, die zur eigenen Befriedigung auf Kosten der Patientin dienen.“ Für den therapeutischen Prozeß könne eine erotische Spannung durchaus fruchtbar sein. Allerdings nur, wenn die Gefühle vom Arzt wahrgenommen und reflektiert werden, auch seine eigenen. „Der Eid des Hippokrates verbietet nicht, sich als sexuelles Wesen zu erkennen“, meinte Frick-Bruder. Für alle am therapeutischen Prozeß Beteiligten sei es besser, „zu fühlen, ohne handeln zu müssen“, als wenn die Gefühle auf Nebenwegen ihren Ausweg finden.

In diese Richtung argumentierte auch die Bremer Gynäkologin Mura Kastendieck. Sie fokussierte allerdings in ihrem Vortrag das Verhältnis zwischen der Frauenärztin und der Patientin. „In unserer gynäkologischen Sprechstunde sehen wir als Patientinnen ausschließlich Frauen. Wir können sie hübsch und anziehend finden und uns über ihr Erscheinen freuen, wir können sie aber auch häßlich und unangenehm finden, bis zu dem Gefühl, sie möge doch bald wieder aus dem Raum heraus sein. Wir sind täglich mit der Körperlichkeit der Frau konfrontiert. Die Untersuchung ist intimer als in jedem anderen Fachgebiet einer Ärztin.“

Auch die Gespräche, fuhr Kastendieck fort, drehen sich um Liebe und Sexualität. Fast immer gehe es dabei um die „Schattenseiten der Liebe“, schließlich sucht eine Frau nur dann eine Ärztin auf, wenn sie ein problem hat. Dabei setze die Patientin bei einer Gynäkologin, anders als bei einem Mann, größeres Einfühlungsvermögen voraus, mehr Verständnis, ein respektvoller, sanfter Umgang. Das richtige Maß an Einfühlung zu finden, sei ein Balance-Akt zwischen „zuviel Nähe bis zuviel Distanz“.

Zuviel Nähe könne, abgesehen vom Burnout-Syndrom, bei der Ärztin auch zu „Übergriffigkeit“ führen: sie ist mit ihrer Aufmerksamkeit nicht bei dem Anliegen der Patientin, sondern ist mehr mit den eigenen Ängsten, Fantasien, Wünschen und Bedürfnissen beschäftigt. Beispiel: Eine Patientin erzählt von einer Vergewaltigung, die Ärztin fragt nach. Intensiver vielleicht, als es die Patientin will. Was bewegt die Ärztin zu diesen Fragen, ein lustvoller Voyeurismus oder eigene Ängste?

Unreflektierte Identifizierungen können sich freilich auch auf seiten der Patientin entwickeln. Auch sie kann die Freundin, die Mutter oder die Schwester auf die Ärztin projizieren. „In einer Frau allen Frauen begegnen, in einem Mann allen Männern, das ist eines der Geheimnisse des Eros“, zitiert Kastendieck die Autorin Marina Gambaroff. Reagiert die ebenso in Projektionen verwickelte Ärztin auf diesen Wunsch mit zuviel Distanz erklärt Mura Kastendieck, „entwickelt sich Härte, und dahinter mag sich die Angst der Frau vor der Frau, die Angst vor Homosexualität verbergen.“

Die Angst, solche Gefühle zuzulassen, „von einer Sehnsucht nach Homosexualität überschwemmt zu werden“, führe meist zu heftiger Abwehr. Je ausgeprägter aber die Abwehr homosexueller Fantasien, umso stärker werde die Homophobie.

Um solche Prozesse in einer therapeutischen Beziehung zu klären, sei die Selbsterfahrung nützlich und notwendig. Erst dann könne die erotische Spannung wahrgenommen, ihre schöpferische Kraft genutzt werden.

„Fühlen und für sich behalten“, lautet, so Mura Kastendieck, die einzige zu verallgemeinernde Regel in diesem Beziehungsgeflecht. „Wir können erotische Gefühle zwischen Ärztin und Patientin zulassen, wenn sie nicht darauf abzielen, die eigene Lust zu befriedigen, sondern die andere Frau in ihrer Autonomie zu achten. Gelingt diese Grenzziehung, so ist die Berührung keine sexuelle Handlung sondern liebevolle Zuwendung und zärtlicher Kontakt.“ dah