■ Hommage
: Der Maus

Ich muß neun gewesen sein. Mehr das Ergebnis einer Rechenübung als der Erinnerung. Irgendwann war sie da, die Maus. Sie war da, und sie war nicht da, denn wichtig, nein, wichtig war sie nicht. Mit neun, da waren die grauen Hochhäuser schon mit Schweinchen Dick überspült. Lassie an Mutter statt und Flipper war unser bester Freund. Der Sündenfall war passiert, die Sucht nach den schnellen Schnitten und amerikanischen Geschichten war schon implantiert. Den Nachgeborenen hat dann die Sesamstraße den Rest gegeben, eher: genommen. Die Maus kam zu spät, da war vorerst nichts mehr zu retten. Und außerdem, wenn die Maus kam, war der Bolzplatz gerade viel attraktiver.

Die Maus ist nicht Pu der Bär. Die Maus hat so gar nicht das Zeug zur Kultfigur. Die kleinen Zeichengeschichtchen, wie die pfiffige Maus Problemchen nach Problemchen löst, ganz ohne Worte, dafür immer mit treuherzigem Augenklimpern – ganz nett, aber nein, das erwärmt die Herzen nicht. Das hat nicht die Dimensionen des Philosophen Pu, die unsere Kinderseelen packen. Die Maus, kein Objekt der Identifikation, könnte man denken. Könnte man, bloß: Kaum taucht das Bild der Maus auf, bilden sich sofort Fanclubs.

Ein Mirakel. Dessen Auflösung kam an einem vergrippten Mittwoch nachmittag. An einem dieser Tage ohne Normalzeit, die den Blick für verborgene Dinge öffnen. Das Hirn schafft es gerade bis zur Fernbedienung, und zwischen all den Krawallsendungen – „Hilfe, meine Frau ist bügelsüchtig!“ – tauchte plötzlich er auf. Der Maus. Alle Welt mag die Maus lieben, gerade jetzt, zum Silberjubiläum. Seit diesem Mittwoch nachmittag liebe ich der Maus: Diese Stimme, die die Welt erklärt. Geduldig, mit der Zeit, die wir nie gekriegt haben, als wir sie nötig hatten. Diese Stimme, wie sie uns an die Hand nimmt, durch den Wald genauso führt, wie durch eine Montagehalle. Und so wird ein Spaten hergestellt, und so ein Schokoladen-Weihnachtsmann, und so ein Schokoladeneis, und so wachsen die Bäume, und so leben die Ameisen, und so und so und so. Kurzum: Der Maus, das wäre er gewesen, der Vater. So hätte er sein sollen, wenn er da gewesen wäre.

Traurig, bißchen sentimental, aber nicht zu viel, denn: Vor der Magie des Maus gibt es kein Entrinnen. Ein paar Sätze, ein paar langsame Bilder, und schon bin ich ganz bei der Sache. Dann will ich's wissen, wie der Spaten hergestellt wird und der Baum wächst und und und.

Der Maus, das ist die Wiederentdeckung der Kindheit, schön und schmerzhaft, bittersüß. Der Maus, das ist die Wiederentdeckung der Langsamkeit, auch für Erwachsene geeignet. Gerade für die. Soll er noch lange erhalten bleiben, und sie meinetwegen auch. Jochen Grabler

Zum 25. Sende-Geburtstag der „Sendung mit der Maus“ läuft am Sonntag, 25.2., um 14.30 Uhr der „Maus-Zug“ des WDR am Bremer Hauptbahnhof ein, samt „Maus-Show“, Käpt'n Blaubär und Hein Blöd.