„Die Lager sind nicht homogen“

■ Carma Hinton, die Koregisseurin von „Das Tor des Himmlischen Friedens“, über Regierung und Dissidenten

taz: Bereits vor seiner Uraufführung beim New Yorker Filmfestival im vergangenen Oktober hat Ihr Dokumentarfilm über die chinesische Protestbewegung von 1989, die Besetzung des Tiananmen-Platzes und das Massaker seitens der Armee für Kontroversen gesorgt. Welche Reaktionen gab es von offizieller chinesischer Seite und welche von chinesischen Dissidenten?

Carma Hinton: Ein Korrespondent der New York Times in Beijing zitierte in Auszügen Dokumentarmaterial, das wir benutzt hatten. Damit wurde augenblicklich eine riesige Kontroverse unter den Dissidenten in Amerika losgetreten. Ohne den Film überhaupt gesehen zu haben, wurde uns ein Komplott mit der chinesischen Regierung unterstellt und uns vorgeworfen, wir würden die Demokratiebewegung diskreditieren. Als der Film dann für das Filmfestival in New York ausgewählt wurde, legten chinesische Regierungsvertreter, ebenfalls in Unkenntnis des Films, Protest ein und versuchten die Vorführung zu verhindern.

Einen Teil des Films machen Interviews aus, die Sie in den letzten fünf Jahren hauptsächlich mit im Exil lebenden ChinesInnen gemacht haben. Woher stammt das Material?

Einiges stammt von Fernsehstationen, für die historischen Aufnahmen hatten wir Zugang zu offiziellen Archiven. Besonders wichtig waren uns die privaten Videoaufzeichnungen von Mitgliedern der Protestbewegung. Bei unseren Recherchen haben wir allerdings auch Amateurvideos gefunden, die bisher völlig unbekannt waren.

Sehen Sie Ihren Film als dokumentierende Bestandsaufnahme oder als politisches Statement?

In erster Linie war es eine Reaktion auf die Art der Medienberichterstattung, die trotz unbestreitbarer Verdienste damals ein allzu oberflächliches Bild der Ereignisse und vor allem der Hintergründe gegeben hat. Die einfachsten Slogans, die farbigsten, exotischsten Bilder waren oft der auf das westliche Publikum zugeschnittene Maßstab. Das reduzierte das realistische Ausmaß auf ein paar einprägsame Formeln: Schwarzweißmalerei. Hier das böse, unterdrückerische Regierungsregime, da die reinen Kämpfer für die Demokratie. Daß diese Gleichung so nicht aufgeht und beide Lager alles andere als homogen sind, wollten wir vermitteln.

Einige Ihrer Kommentare im Film – ein Exkurs über Toten- und Personenkult – geben den Ereignissen eine fast fatalistische Zwangsläufigkeit, als sei dies eine Kette verpaßter Möglichkeiten, die notwendig scheitern mußte.

Ich glaube nicht an einfache Lösungen und nicht an die Allmacht von Massenbewegungen. Es ist sehr befreiend, zu protestieren und sich moralisch zu empören, das hat aber mit tatsächlich gesellschaftlicher Veränderung wenig zu tun. Wenn Leute sich gegen eine oppressive Macht erheben, benutzen sie oft Strukturen, die sie eigentlich bekämpfen. Nur wenn man sich dessen bewußt wird, kann eine Bewegung einen echten Bruch mit den politischen Prozessen der Vergangenheit erreichen. Hoffnung begründet sich nicht auf schnellen Siegen, sondern Ausdauer. Auch die chinesische kommunistische Revolution 1949 ist daran gescheitert, im Handstreich geschaffene Befreiung in eine tatsächlich demokratische Gesellschaft zu verwandeln. Interview: Gudrun Holz