Apokalypse vorvorgestern

In Terry Gilliams „12 Monkeys“ (Wettbewerb) muß Bruce Willis durch die Zeit reisen, um zu ermitteln, warum und ab wann alles schief lief  ■ Von Harald Fricke

Im Vorspann verkündet eine Notiz, daß die Menschheit 1997 durch einen Virus ausgerottet werden wird und Tiere die Erde wieder beherrschen werden. Es ist eine überaus christliche Botschaft, wie man sie sonst nur von Sekten, abwegigen Religionsstiftern und militanten Vegetariern kennt. Oder aus Science-Fiction- Filmen. In „Twelve Monkeys“ stammt sie aus dem Tagebuch eines paranoiden Schizophrenikers, der in einer ziemlich altmodischen, an die Salpetrière erinnernden Anstalt einsitzt, wo man Menschen noch in Gummizellen sperrt.

Von depressiven High-Tech- Phantasien a la „Blade Runner“ oder „Solaris“ trennt „Twelve Monkeys“ außer ein bißchen Humor nicht viel. Man schaut der Welt beim Sterben zu, sieht wie sich eine ungeschickte Liebesstory zwischen dem Patienten und seiner Ärztin entwickelt, die zum Ende beide durchdrehen. Daß Terry Gilliam, der Regisseur von „Time Bandits“ und „Brazil“ und ehemalige Mitkomiker der Monty-Python-Gruppe, sich auf eine solche Schlidderfahrt zwischen Gottesfurcht, Straßenkrieg, und Psychotrash eingelassen hat, hat eine höchst cineastische Vorgeschichte. „Twelve Monkeys“ basiert auf einem 27minütigen Kurzfilm von Chris Marker. „La Jetée“ wurde 1962 gedreht, ohne Handlung, nur als Abfolge von schwarzweißen Fotografien: Reisen durch Psyche und Erinnerung, Arbeit mit dem Material der Zeit – Leiris, Lacan, you name it.

Gilliam war vor allem von dem traumatischen Schluß der Story beeindruckt: „Genau das gefiel mir: Ein Film für kluge Leute“. Wie aber paßt nun ein Klotzkopf wie Bruce Willis in dieses Hochschul-Szenario? Willis spielt eine mackerhafte, unberechenbare Figur, die langsam stirbt. Dann entwickelte sich das ganze allerdings sehr viel menschelnder als im üblichen Action-Gewerbe: „Was Bruce zusätzlich in die Rolle einbrachte, war das Gebaren eines verschüchterten Kindes, das in einer fremden Welt verloren ist. Diese Verletzlichkeit hat er zuletzt in ,Stirb langsam III‘ gezeigt, als er zu weinen begann, während er Glassplitter aus seinem Fuß entfernen mußte und dabei mit seiner Frau telefonierte. Und seine schönsten Momente in ,Twelve Monkeys‘ hat er meines Erachtens, wenn er völlig kindlich und ekstatisch wird, und es dabei noch fertigbringt, wie ein irrer Derwisch zu grinsen.“

Dazu hat Willis als Sträfling James Cole genügend Gelegenheiten: Er lebt in einem aus rostigem Stahlmüll zusammengeschusterten Knast unter der Erde, darüber liegt ein allmählich zerbröckelndes Philadelphia, das im Jahr 2035 von Bären, Löwen und Exoten bevölkert wird. Die Weissagung des Schizos hat sich also eingestellt. Ab und an wird ein Gefangener als Versuchskaninchen auf der Oberfläche ausgesetzt. Cole kehrt lebend zurück und so schickt man ihn auf eine weit verschlungenere Mission: Er soll per Zeitreise in der Vergangenheit auskundschaften, wie es zu der Katastrophe gekommen ist, damit man in der zukünftigen Gegenwart ein Anti-Serum herstellen kann. Willis wird in eine Scannerröhre geschoben — und ab geht die Post.

Zunächst landet er aber ein paar Jahre vor der Katastrophe. Philadelphia ist bereits die Hölle: Junkies, spinnerte Wissenschaftler, zahnlose Bettler an brennenden Mülltonnen. Für diesen Augenblick zumindest gleicht die Welt dieses Films der von Jabberwockies und Kokosnußrittern, ein großes Schlamassel aus menschlichem Elend und Zivilisationsabfällen quer durch die US-Geschichte. Vor dem Gerichtsgebäude campieren die Obdachlosen in Pappkartons, Hippies hausen in Teestuben, an der Ecke kauft man Crack. Es unterscheidet sich jedenfalls kaum vom Leben untertage 40 Jahre später, wo die Gefangenen in ihren rostigen Stahlkojen kauern wie in mittelalterlichen Kerkern. Für einen echten, zumal englischen Romantiker wie Terry Gilliam ändert sich nichts wirklich. Alles wird nur unendlich kleinteiliger auf dem Weg zum perfekten Chaos. Ein Trick, an dem vor allem die Set- Designer zu arbeiten hatten. Sie mußten alle Gegenstände neu erfinden, wobei das Zukunftsgeschirr nur aus dem Schrott der Gegenwart bestehen konnte: So wurden Staubsauger in überdimensionale Taschenlampen verwandelt oder eine alte Bürste zum Türknauf umfunktioniert.

Fremdartige Personen, zumal splitterfasernackte wie der stämmige kleine Willis, aber landen zu jeder Zeit sofort in der Psychiatrie, werden verhört, mit vielerlei Mittelchen zugepumpt und weggesperrt. „Twelve Monkeys“ zitiert auch hier bei einem Vorgänger und läßt Brad Pitt als Arztsöhnchen Jeffrey Goines, ein speed-geschädigter Yuppie, hyper-hektisch ventilieren wie Nicholson im Kuckucksnest. Schon in diesen Szenen bahnt sich das Ende im Durcheinander der Klinik an, das doch nur in Leerlauf mündet. Keiner hört Goines zu, als er von der Affenverschwörung brabbelt, niemand will ihm bei seinem Ödipusgerangel mit dem Vater helfen, der doch immerhin Bakteriologe ist. Und die Unterirdischen zappen Cole aus der Krankenzelle zurück in den Zukunftsknast.

Bei seinem zweiten Trip landet er mitten im Ersten Weltkrieg. Peng. Beim nächsten Versuch kommt er vor der Universität von Philadelphia an, wo Dr. Kathryn Railly, die behandelnde Ärztin der ersten Reise, einen Dia-Vortrag über Kriege hält. Sein Bild aus dem Schützengraben ist auch dabei. Er entführt sie auf der Suche nach den Tätern von morgen und verliebt sich dabei ein bißchen im Hier und Jetzt (schließlich ist's doch die flunschlippige, ungeheuer woodstöckchenhaft wirkende Madeleine Stowe). Auch Railly glaubt langsam, auf welches Ende die beiden da zusteuern und verliebt sich zurück. In einem der komischsten Momente des Films geht das Pärchen in eine Absteige, um endlich das Zeitenmischmasch zu analysieren. Ein Pimp von gegenüber wird mißtrauisch über die fremde Hure in seinem Bezirk, rüttelt an der Tür und erwischt die beiden prompt auf dem Bett. Darauf entgegnet Stowe dem wutschnaubenden Zuhälter: „Hören Sie, hier passiert nichts. Ich bin nur die Ärztin“. Wieder bekommt Willis die Prügel, wieder schlägt er jemanden tot und leidet dabei doch am meisten. An der Apokalypse kommt keiner vorbei.

„12 Monkeys“, USA 1995, 131 Min., Regie: Terry Gilliam. Mit: Bruce Willis, Madeleine Stowe