Gute Seelen haben's schwer

Wer in seinem Mieterdasein noch nie eine Hauswartsfrau hatte, der hat was verpaßt. Doch aus der Bereicherung kann schnell eine Bescherung werden  ■ Von Barbara Bollwahn

Die Angst, ihr zu begegnen, beginnt schon im Morgengrauen. Vorsichtig öffne ich die Hoftür und schleiche mit dem Abfall unterm Arm zu den Mülltonnen, als wollte ich giftigen Sondermüll entsorgen. Ein kurzer Blick nach rechts und links. Dann muß alles ganz schnell gehen. Deckel hoch, Müll rein, Deckel zu. Geschafft. Sie hat mich nicht gesehen. Denn dann hätte ich reuevoll an den Tatort zurückkehren und den Inhalt der Mülltüte in die Tonne entleeren müssen. Denn nur auf diese Weise ist gewährleistet, daß jeder Kubikzentimeter der Mülltonne ausgenutzt wird.

Frau Strutzke, nennen wir sie mal so, ist die erste Hauswartsfrau in meinem Leben. Ich mußte von Charlottenburg in den Wedding, von dort nach Kreuzberg und dann nach Neukölln ziehen, um diese Erfahrung machen zu dürfen. Bei unserer ersten Begegnung war Frau Strutzke ziemlich barsch. Wie einem unartigen Schulkind las mir die 60jährige Frau die Leviten, als ich mich am dritten Renovierungstag als die neue Mieterin vorstellte. „Ach, daß ich Sie auch mal kennenlerne!“ blaffte mich die Frau mit dem runden Gesicht und den kleinen Augen an und versetzte dem Besen einen Stoß, als wollte sie mich mit dem Dreck hinwegfegen. Daß ich nicht wissen konnte, daß dieses Haus eine Hauswartsseele hat, interessierte sie nicht die Bohne.

Im Laufe der nächsten Stunde redete sich Frau Strutzke, die nicht mehr gut zu Fuß ist, ihren ganzen Frust von der Seele und informierte mich über die Unartigkeiten meiner Mitbewohner: Werbezettel würden achtlos auf dem Boden und nicht in den eigens dafür bereitgestellten Eimer im Hausflur geworfen. Nicht das schlechte Wetter, sondern die Mieter mit ihren nassen Schuhen seien schuld, daß sie soviel Arbeit mit dem Treppenhaus habe. Beschämt schaute ich auf meine schmutzigen Treter hinunter.

Am meisten aber leidet Frau Strutzke unter dem fehlenden Vertrauen der Mieter. Dabei biete sie bei anstehenden Reparaturen jedem an, den Handwerker in der jeweiligen Wohnung in Empfang zu nehmen. Daß die Mieter von dem Angebot bisher keinen Gebrauch gemacht haben und statt dessen lieber selbst auf den Handwerker warten, verbittert sie schon sehr. Bevor ich überhaupt irgend etwas erwidern konnte, zerstreute sie meine Bedenken: „Nicht daß Sie denken, ich will herumschnüffeln. Es interessiert mich überhaupt nicht, wie es bei Ihnen aussieht. Ich setze mich brav in die Küche. Wenn ich ein Glas finde, genehmige ich mir vielleicht einen Schluck Wasser. Und wenn irgendwo ein Aschenbecher steht...“ Kurze Zeit später war es soweit. Frau Strutzke, die gute Seele, wollte mir einen Installateur für den Anschluß der Waschmaschine besorgen. Da ich in der Zwischenzeit meinen Telefonanschluß bekommen hatte, hielt sie mich unentwegt auf dem laufenden. „Entschuldigen Sie vielmals die Störung, Frau Barbara!“ flötete sie schon morgens in den Hörer. „Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich noch keinen erreicht habe. Nicht daß sie denken, die Strutzke macht nichts für ihr Geld.“ Statt sauer zu sein, daß sie mich schon wieder für nichts und wieder nichts aus dem Bett geklingelt hatte, bekundete ich mein Mitgefühl für ihren schweren Job.

Sie erzählte mir Stammesgeschichtliches über ihre Familie, und zu meiner eigenen Überraschung kam mir ein verschlafenes „Ist ja interessant!“ über die Lippen. Meinen Versuch, das Gespräch nach einer knappen Stunde mit dem Hinweis auf die hohen Telekomgebühren zu beenden, machte sie gnadenlos zunichte: „Ach, wissen Sie, Frau Barbara, das ist mir egal. Ich habe doch sonst niemanden zum Reden.“

Als sie mir bei ihrem nächsten Anruf schließlich mitteilte, es sei ihr gelungen, die Firma zu erreichen, die Sekretärin würde sich bei mir melden, bedankte ich mich artig und löste damit erneut eine Einheitenlawine aus. Bevor sie sich mit einem „Ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Tag, Frau Barbara!“ verabschiedete, versprach ich ihr, sie über den weiteren Fortgang zu informieren. Als ich ihr aber am nächsten Tag möglichst schonend beizubringen versuchte, daß sie den Vormittag in ihrer eigenen Küche verbringen könne, da ich selbst zu Hause sei, erkannte ich sie nicht wieder: Frau Strutzke war sprachlos.