Entlaßt alle Trainer – sofort!

Die Wahrheit, behauptet Otto Rehhagel gern, befinde sich „auf dem Platz“. Er befindet sich dort nicht. Was macht er? Die Taktik? „Mist!“, jault Uli Hoeneß, „rennen müssen die!“ Wozu Rehhagel? Er ist nutzlos. Wie alle Trainer. Leert die Bänke! Ein polemischer Zwischenruf  ■ Von Bernd Müllender

Fußball, das weiß man, seit Leder rollen lernte, ist so beliebt, weil es so einfach ist. Das Basiswissen lautet: Das Runde muß ins Eckige, und das kapiert nun wirklich jeder. Doch dann kamen Spielphilosophie, Trainerweisheiten und Rasenschach, theoretischer Unterbau und taktische Feinheiten. Alles erdacht, um den banalen Balltritt mit heiliger Wissenskunde zu weihen. Dreierkette, 4-2-4erkette, Fünferkette, Perlenkette, Mann-, Raum- und Zonendeckung. Hängende Spitze, Torsicherungssysteme, Abfangjäger, linke Außenbahn, rechte Außenbahn, Innenbahn, kontrollierte Offensive, unkontrollierte Defensive, Libero hinter, vor, neben der Abwehr ...

Quell allen Übels sind die am meisten überschätzten Figuren des Fußballbusineß: die Trainer. Diese Gilde der Ballgelehrten predigt immer neue Fachbegriffe, die dann gleich ins Stammbuch der Fußballweisheiten eingehen und ab sofort von großer Gewichtigkeit sind und gleichzeitig Modeschwankungen unterworfen. Etwa die Schicksalsfrage: Manndeckung oder Raumdeckung, die mittlerweile auf quasireligiösem Niveau debattiert wird. Dabei sind viele Abwehrblöcke sowieso Mischformen. Entscheidend ist schlicht, ob dem Gegner im entscheidenden Moment einer auf den Füßen steht, völlig wurscht dagegen, ob der da schon vorher klebte oder aus irgendwelchen tiefen Räumen pünktlich zur Stelle ist. Doppelspitze, Doppeldeckung, Staubsauger, Abräumer, Räume eng machen, das Spiel weit machen – all diese Schlaumeiereien, eingehämmert bekommen von neunmalklugen Ausbildern der Kölner Sporthochschule, dienen den Übungsleitern zugleich als ideales Schutzschild.

Denn: Heißt es nicht immer so nebulös verbrämt, ein Außenstehender könne die Leistung eines Spielers gar nicht beurteilen, wisse er doch nicht, welche genauen taktischen Aufgaben der Herr Ballbeweger mitgenommen hatte?

Hoeneß: Der FC Bayern braucht keinen Trainer

Sogar Uli Hoeneß darf als Kronzeuge gelten: Nach einem Bayernsieg im November vergangenen Jahres wurde er gefragt, ob eine neue Taktik zu Spielwitz, Lauflust und Erfolg geführt habe. „Taktik? Neue Taktik?“, schnaubte da der Manager, „wenn ich das schon höre. Die rennen jetzt! Happel, Zebec – Großmeister der Strategie? Alles Mist! Da krieg' ich die Krätze. Rennen müssen die, kicken! Der FC Bayern braucht keinen Trainer, der die Taktik macht. Er braucht einen, der das Ensemble bei Laune hält, der es zu Höchstleistungen treibt.“ Einen Gutelauneonkel für eine Million Gage im Jahr, oder derer gar zwei? Welch ein Unfug. Sofort entlassen.

Bei Erich Ribbeck beispielsweise hatten die Bayern vor Jahren entsprechend reagiert. Erinnern wir uns an den schönen wie entlarvenden Satz des Niederländers Jan Wouters, Ribbeck erweise sich bei den Mannschaftsbesprechungen als der einzige, der keine Ahnung von Spielsystem und Taktik habe ... In allen Coaches, Trainern und Fußballehrern steckt ein Ribbeck. Sie sind nutzlos! Also: Ersatzlos abschaffen. Weg mit ihnen! Leert die Bänke.

Ohnehin gilt: Je mehr die Trainer ins Rampenlicht gestellt, ihre Verpflichtungen und Demissionen Weltereignissen gleichgesetzt werden, desto lächerlicher wird ihre bloße Existenz. Was macht denn so ein Vorturner während der Woche? Lassen Tag für Tag in sogenannten Trainingseinheiten zwei Dutzend junger Männer herumrennen, tackeln, fummeln, passen, auf Tore schießen. Als ob die das nicht allein könnten. Selbst bis sieben zählen, für das beliebte 5-gegen-2-Spielchen, das schafft der intelligente Kicker von heute doch ganz autonom.

Samstags dann malen die Fußballehrer Kringel, Kreuze und Pfeile auf Tafeln – immer nach den neuesten Erkenntnissen. Ob auch nur ein Kreidestrich, ob von Ribbeck selbst oder einem anderen, je was genutzt hat? Ansonsten sehen sie sich Videos an, was ihre Kollegen so alles Nutzloses angestellt haben in anderen Spielen zuvor.

Oder: Was sagen sie auf Pressekonferenzen, bei Fernsehinterviews? Nichts als blanken Blödsinn, dazu in einer derart defensiven Formelsprache, die noch jeden Heribert Faßbender oder Jürgen Emig vergleichsweise zu Verbalartisten aufwertet.

Was sagen Trainer? Nichts als blanken Blödsinn

Und: Was machen sie in den 90 Minuten, in denen es darauf ankommt? Sie brüllen und toben herum wie Rumpelstilzchen und sagen doch alle, ihr Einfluß während des Spiels sei minimal bis gar nicht vorhanden. „Raus, raus, raus“, der branchentypische Brüllschrei Richtung Abwehr, ist das taktisch Bedeutendste, was Trainer matchbegleitend mitzuteilen in der Lage sind. Wahrscheinlich wurde das Auswechseln nur deshalb erfunden, damit sie sich nicht zwei Halbzeiten lang völlig tatenlos zu Tode langweilen.

Laßt die Spieler das alles doch mal alleine machen. Vielleicht mit einem Rotationsteamchef aus den eigenen Reihen. Sie wollen doch den Erfolg, sie wollen gutes Geld verdienen mit Siegprämien, und vielleicht spüren sie doch noch so etwas wie Spiellust in sich. Zumindest manche von ihnen. Hoffen darf man ja.

Immerhin: Ignorierte nicht schon 1973 Günter Netzer seinen Trainer Weisweiler, wechselte sich beim legendären Pokalfinale selbst ein und schoß gleich das entscheidende Tor? Vorbildlich! Alttrainer Ady Preißler hat es einmal, noch bevor der Balltritt wissenschaftlich seziert und in den Adelsstand höherer Strategiekunde gehoben wurde, so wundervoll auf den Punkt gebracht: „Grau is alle Theorie, maßgebend is auf'm Platz.“

Und da entscheidet gern der Spielkamerad Zufall: Windhauch im falschen Moment – Flanke vorbei; schräger Grashalm, der den Stollenschuh eine Winzigkeit hemmt – Schuß an Außen- statt an Innenpfosten. Oder des Mittelstürmers Schuhgröße entscheidet, ob ein Abstauber denn noch so eben mit der Pike zum Abstauben kommt oder nicht.

Fußball ist so banal einfach. Und könnte so schön sein. Wenn du nicht weißt, wohin mit der Kugel – einfach ins Tor schießen. Das ist praxisgerechte Taktik von Ewigkeitswert! Oder Gerd Müllers Geheimrezept: Niemals versuchen, am Torwart vorbeizuschießen, sondern immer nur: ins Tor hinein. Aber das lehrt heute keiner mehr. Und es ist viel zu simpel und zu selbstverständlich, um darüber stammtischlang ribbeckulös debattieren zu können.

Mit freundlicher Genehmigung aus dem soeben erschienenen Heft 2 von: Verlängerung – Das andere Fußballmagazin, Klartext, Essen