Sauber, diskret etc.
: Gott ist doch tot

■ Und der Mond angenagelt. Jetzt brauchen Eltern starke Nerven. Kleine Forschungsreise in die unverarmbare Sprache unserer Großstadtgören

Wer sich das Vergnügen gestattet, heutzutage mit Kindern umzugehen, darf nicht nur eine weitere Fremdsprache lernen, sondern wird auch seinen Bekanntenkreis erheblich erweitern. Benjamin Blümchen und Karla Kolumna waren mir bisher gleichgültig, nun fiebere ich ihren neuen Abenteuern so gespannt entgegen wie den Unterhaltungen von Ernie und Bert. Batman und Robin – das lernte ich schnell – sind unantastbar in ihrem Wirken und Kämpfen. Auch Superman darf man nicht unterschätzen. Aber die Power Rangers kann ich immer noch nicht leiden. Als ich meinem Sohn gegenüber meine Einwände gegen diese Bande plump maskierter Dumpfbacken formulierte, meinte er: „Dann bist du nicht mehr mein Freund und kannst nicht zu meinem Geburtstag kommen.“

Ganz warm ums Herz wird mir, wenn die Kids auch die Gestalten meiner Kindkeit kennen- und schätzenlernen. Pippi Langstrumpf und Alice, Räuber Hotzenplotz und Jesus Christus, Max und Moritz, Eliza Doolittle und Henry Higgins sind gern gesehene Gäste bei uns, die oft „kämpfen“ (Finn) oder „heiraten und Babies krieg'n“ (Pauline). Je mehr ich allerdings dazu übergehe, auch die Weltliteratur in unser häusliches Glück mit einzubeziehen, desto öfter muß ich doch feststellen, daß sich meine Kinder meist schon auf Video vorab informiert haben. Es scheint keine Gestalt zu geben, die nicht von Walt Disney mit Zuckerguß und plärrendem Schlager in die Kinderköpfe geklebt wurde. Und wer sind eigentlich Arielle, Pocahontas, Mala und Simba?

Auch der kindliche Spracherwerb, einst Gegenstand gemütlicher wissenschaftlicher Abhandlungen, hat sich unerhört beschleunigt. Von der Lallphase bis zum restringierten Code vergehen nur wenige selige Monate. Die Zeiten, als „Spielplatz“ noch „Pitapatz“ und die Oma etwas „mitgebrungen“ hatte, sind bald vorbei. Die Reimphase ist ein deutliches Anzeichen dafür, daß sie – mit vier, fünf Jahren – unsere schöne deutsche Sprache nur noch als Spielmaterial ansehen. Wer jetzt nicht starke Nerven hat, wird lange leiden.

Unser Kontaktbereichsbeamter zum Beispiel bekommt regelmäßig eine Krise, wenn meine reizenden Kinder ihn begrüßen: „Polizei, schießt ein Ei, um die Ecke, eins, zwei, drei!“ Oder: „Sieben Polizisten pißten in die Kiste, einer pißt vorbei, und du bist frei.“ Auch der gemeine Berliner Busfahrer steuert bald dem Nervenzusammenbruch entgegen, wenn Pauline und Finn das Oberdeck entern und ihn trampelnd anfeuern: „Schneller, Propeller! Schneller, Propeller!“ Die Bäckersfrau ist ziemlich pikiert, wenn sie die Schrippen über den Tresen reicht und dafür „Leckerschmecker, Hundebäcker“ zu hören bekommt.

Wenig hilfreich ist es jedoch, die Kinder vor Werbesendungen zu setzen, um sie sprachlich wieder etwas zu verarmen. Finn will mich neuerdings auf dem Gang zur Toilette dabei haben, „damit die Sache sauber und diskret abläuft“.

Die heutigen Kinder erziehen selbst, wenn auch weniger sich als vielmehr ihre Eltern. Man schaue nur einmal zur Abholzeit in einen Kindergarten. Sieben faule Gören liegen hingeschlenzt auf den Bänken, während die gutmütigen Elternsklaven ihnen die Schuhe anziehen. Die Kids unterhalten sich derweil über die Köpfe ihrer Bediensteten weiter.

Nur besonders freundliche Kinder unterhalten sich mit ihren Erzeugern: meine zum Beispiel. Finn baumelt in der U-Bahn als Tarzan an der Haltestange und fragt beiläufig: „Weißt du was?“ Ich blicke meinen Sohn erwartungsvoll an. „Der Mond ist am Himmel angenagelt!“ Ja, natürlich.

Ganz falsch wäre es jetzt, ihn von der Haltestange zu reißen und ihm den Mund zuzukleben. Schließlich will man auch in der U-Bahn, wo man mit verwilderten Kindern ohnehin immer schief angesehen wird, als toleranter Vater gelten. Deshalb flüstere ich ungläubig: „Und wer hat ihn da angenagelt?“ – „Na ein Riese.“ Ich beharre auf meinen Zweifeln: „Und warum wandert der Mond dann trotzdem durch den Himmel?“ Finn triumphierend: „Weil er fliegen kann!“ Dann stößt mich Pauline an. Welcher Quatsch kommt jetzt? Sie schaut sich siegessicher in der U- Bahn um und flüstert: „Gott ist tot!“ Johannes Groschupf