Zumindest die Polizei ist multinational

Eine Polizeitruppe aus Serben, Kroaten und Muslimen kontrolliert jetzt Vogošća, den ehemals serbisch besetzten Vorort Sarajevos. Sie wird von der UNO-Polizei überwacht  ■ Aus Vogošća Erich Rathfelder

Die Rauchwolken verheißen nichts Gutes. Aus einem Fabrikgebäude schießen meterhohe Flammen empor und bilden einen schwarzen Rauchpilz, der schon von weitem zu sehen ist. Feuchte Rußpartikel verdunkeln den frischen Schnee. Nur wenige Kilometer von Sarajevo und seinem größten Vorort, Vogošća, entfernt brennt die Lebensmittelfabrik UPI in Rajlovac. Einige Ifor-Panzer sind aufgefahren.

Niemand weiß, wann, durch wen und warum dies geschehen ist. Der Brand ist nicht der einzige „Vorfall“ an diesem Tag, an dem der vier Jahre von Serben kontrollierte Vogošća an die bosnisch- muslimische Konföderation übergeben wird. Auf Proteste der Serben stößt vor allem ein Einbruch einiger Polizisten in das Büro des serbischen Bürgermeisters Rajko Koprivica. Auch das Anbringen der bosnischen Staatsflagge statt der serbischen Hoheitszeichen auf einigen Gebäuden lehnen sie ab.

Auf der vereisten Straße nach Vogošća kommen einige vollbeladene Autos und Lastwagen entgegen. Sie haben das Kennzeichen „CC“ – Serbisches Sarajevo. Es sind Serben, die weggehen. Für immer. So wie Branka. Die „Chefsekretärin ohne Arbeit“ steht allerdings noch vor dem Rathaus der Stadt und wartet wie einige Dutzend andere Menschen darauf, daß ein Bus sie nach Pale, in die „Serbische Republik Bosniens“, bringt. „Ich will gehen, der Krieg ist vom Vatikan und Deutschland gegen uns Serben organisiert worden, ich will nicht mit den Türken zusammenleben.“ Sie sagt dies mit aller Selbstverständlichkeit. Der Bus, so hofft sie, wird bald kommen.

Der serbische Bürgermeister Rajko Koprivica verhandelt gerade mit dem „Hohen Repräsentanten“ der Internationalen Gemeinschaft, Carl Bildt. Einige bosnische Polizisten stehen vor dem Gebäude. Alles sei normal, sagt Dragan S. Auch als er mit seinen 79 Kollegen um 6 Uhr morgens in die Stadt eingerückt ist, gab es keine Zwischenfälle. Seitdem patrouillieren sie in der Stadt. Um Mitternacht habe die serbische Polizei Vogošća geräumt. Bis sie selbst einrückten, seien 50 Polizisten der UNO-Zivilpolizei in der Stadt gewesen. „Das Experiment ist gelungen“, sagt er und lächelt. Er selbst sei Serbe aus Sarajevo und schon vor dem Krieg Polizist gewesen. „30 Serben befinden sich unter den 80 bosnischen Polizisten, 40 Muslime und 10 Kroaten.“ Eine gemischte Polizeitruppe aus Sarajevo also. Und einige der Kollegen, die „unter Karadžić“ hier Dienst taten, hätten auch schon angefragt, ob sie in den Polizeidienst der bosnischen Regierung übernommen werden könnten. „Das geht, wenn sie keine Kriegsverbrecher sind, in zwei Tagen.“

Auf der Straße gehen einige alte Menschen spazieren. Sie wollen nicht bleiben, wissen aber nicht, wohin sie gehen sollen. Angst mache ihr, so sagt eine alte Frau, daß in ihrem Wohnblock nur noch eine Familie lebe. „Ich bin jetzt fast allein, in der Nacht kann ich nicht schlafen.“ Die bosnischen Polizisten hätten ihr versichert, daß alles sicher sei. Und schon morgen sollen die ersten Vertriebenen zurückkommen, die 1992 gehen mußten.

Als der Krieg begann, war Vogošća eine blühende Stadt. Mehr als 30.000 Menschen lebten hier. Das nahe gelegene Volkswagenwerk produzierte damals 200 Autos pro Tag, mehr als 3.000 Arbeiter und Angestellte waren hier beschäftigt. Die Zulieferbetriebe, die weiterführenden Schulen, die schönen Villenviertel an den Berghängen zogen die Menschen an. In den modernen Wohnblocks mit Zentralheizung lebten muslimische Familien (40 Prozent), Serben (30 Prozent) und Kroaten (10 Prozent) Tür an Tür.

„Vierzig Jahre lang haben wir zusammengelebt, ohne Probleme“, sagt eine vierzigjährige Ingenieurin aus Makedonien, die den Krieg hier überlebte. Sie berichtet über den Terror der „Tschetniks“. 19 muslimische Familien seien in den umliegenden Häusern im April 1992 massakriert worden. Die serbischen Nachbarn hätten auch sie bei der Polizei angeschwärzt, als Makedonierin sei es ihr jedoch besser ergangen als den Muslimen und Kroaten. „Es war die Hölle für die Nichtserben, keiner unserer Nachbarn hat uns geholfen. Jetzt bin ich endlich wieder frei.“

Es ist nicht viel zerstört in der Stadt. Doch die Industrieanlagen sind in schlechtem Zustand. Bis zuletzt wurden Maschinen und Inventar abtransportiert. Auch aus dem Werk von Volkswagen. Manche der Produktionshallen sind gähnend leer. Überall liegt Müll herum. Auch die benachbarte Munitionsfabrik ist leer. Bis auf die Granatenhülsen, die hier im Hof fein säuberlich aufgereiht sind. Mit ihnen ist Sarajevo während der dreieinhalb Jahre Belagerung beschossen worden.

Carl Bildt tritt aus dem Rathaus. Er bedauert den Auszug der Serben aus der Stadt, der für ihn völlig unnötig ist. Der Bürgermeister der Stadt habe seine Bevölkerung viel zu spät zum Bleiben aufgefordert. „Erst vor zwei Tagen nämlich.“