Rote Greenbacks mit Lenins Porträt

■ Neue 100-Dollar-Noten wecken in Rußland alte Ängste vor Währungsreformen

Moskau (taz) – Wöchentlich hält die Moskauer US-Botschaft Pressekonferenzen ab, die vor allem einem therapeutischen Ziel dienen: das russische Volk vor Panik zu bewahren angesichts der bevorstehenden Ausgabe neuer 100- Dollar-Scheine durch die Notenpresse der Vereinigten Staaten. „Es gibt keinen Grund, alte 100- Dollar-Noten gegen neue einzutauschen“, beschwichtigt die Botschaft, „amerikanische Noten, die Sie jetzt in Ihren Händen halten, werden von der amerikanischen Regierung auf unabsehbare Zeit zu ihrem Nominalwert garantiert.“

Erste Nachrichten über die neuen Geldscheine hatten die Gemüter zum Kochen gebracht. Denn in die privaten russischen Sparstrümpfe wandert fast ausschließlich US-Währung, vorzugsweise in Gestalt von 100-Dollar- Noten. Etwa 20 Milliarden US- Dollar zirkulieren in diesem Land, mehr als in jedem anderen Staat der Erde, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten selbst.

Wer mit der Zeit ging, wurde mit dem monatlichen Zahltag zum Währungsspekulanten. Meine Freundin Olja zum Beispiel arbeitet in einer Sankt Petersburger Handelsfirma. Bezahlt wird sie in Rubeln, die Höhe des Gehalts ist in der US-Währung definiert. Bis letzten November eilte Olja jedesmal, wenn sie das tagesaktuelle Rubel-Äquivalent der vereinbarten monatlichen Dollarsumme in der Hand und die Miete bezahlt hatte, zu einer sorgfältig ausgewählten Wechselstelle. Dort tauschte sie das ganze Resteinkommen um. Dann erst war sie sicher: Mein Geld wird nicht entwertet, ja, vielleicht steigt der Dollar sogar? Später begann der umgekehrte Prozeß: Woche für Woche stand Olja nun Schlange, um ein paar Dollar in Rubel zu verwandeln. Gegegenwärtig, da die monatliche Inflationsrate des Rubel offiziell nur noch bei drei Prozent liegt, machen sich die zu Kursexperten avancierten RussInnen das Leben etwas leichter. Nur gespart wird weiterhin in Dollar. Sollte jemandem aber plötzlich ein unvorhergesehener Konsumwunsch zusetzen, kein Problem: In jedem Kaufhaus existiert ein Wechselfensterchen. Da die Verkäuferinnen keine Lust auf inflationsbedingte Umpreisungsaktionen haben, sind auch die Waren in Dollar ausgeschildert. Bezahlt werden dürfen sie trotzdem nur mit Rubel, in der „Holzwährung“, wie sie der Volksmund nennt.

Seit Januar 1993 hat der Rubel 80 Prozent an Wert verloren. Mehr noch als die vorläufig gebremste Inflation, untergruben eine Reihe von Währungsreformen das Vertrauen der RussInnen. Auch jetzt fühlen sie sich schmerzlich daran erinnert: 1947 spielte sich erstmals das Szenario ab: Massengedrängel vor den Banken, Ohnmachten, Verletzte und Infarkt-Opfer. Stalin hatte befohlen, innerhalb einer Woche alle Rubelscheine durch neue zu ersetzen. Dann ging der 23. Januar 1991 in die Historie als „Pawlowstag“ ein. Die Bürger Rußlands verbrachten ihn Schlange stehend. Frühmorgens war Gorbatschows Ukas verkündet worden, alle nach dem Design des Jahres 1961 gedruckten 50- und 100-Rubel-Noten in drei Tagen aus dem Verkehr zu ziehen. Initiator war der spätere Putschist und damalige Finanzminister Pawlow gewesen. Nach dem gleichen Muster begann im Juli 1993 der Wechsel von Scheinen mit sowjetischen Hoheitsemblemen gegen neue der Russischen Föderation. Deren Bürger wurden kalt überrascht – meistens auf der Datscha oder im Urlaub. Auch die Regierung befand sich im Urlaub. Daher konnte Präsident Jelzin danach behaupten, Tschernomyrdin und der damalige Zentralbankchef Graschtschenko hätten den Coup geplant.

Angsichts der monetären Doppelherrschaft ist der Bedarf an Wechselbuden gewaltig. Oft entstehen sie spontan und nur für einen Tag. Eine Lücke zwischen zwei Imbißkiosken genügt, dazu ein Prachtkerl mit Camouflage- Uniform und Pistole, der sein üppiges Hinterteil auf ein Schemelchen davor pflanzt. Mal ist ein Eselsohr Grund genug, um einen Schein abzulehnen, mal ein winziger Riß am Rand oder eine farbige Markierung. Penibel wird jeder Schein als Blüte verdächtigt und durchleuchtet. Doch Olja hat sich beruhigt und wird nicht versuchen, ihre beiden 100-Dollar-Noten umzutauschen. Allerdings ist sie froh, daß auf den neuen Scheinen wieder Benjamin Franklin abgebildet sein wird. Schließlich ist er ja der Erfinder des Blitzableiters. Anders ein von der Moscow Times befragter junger Mann in einer Wechselschlange: „Meinetwegen können die ihre Dollar rot machen und vorne den Lenin draufpappen.“ Barbara Kerneck