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Uni Stuttgart droht mit Zwangsexmatrikulation

■ Panik unter LangzeitstudentInnen: Sie sollen ihre „Ernsthaftigkeit prüfen“

Stuttgart (taz) – Die Rektorin der Stuttgarter Universität, Heide Ziegler, macht allen Studierenden Druck, die mehr als 18 Semester an der Hochschule eingeschrieben sind. Wer keine guten Gründe vorbringt, warum er die durchschnittliche Studiendauer überschritten hat, soll zum Ende dieses Wintersemesters zwangsexmatrikuliert werden. Knapp 1.000 Briefe schickte die Unileitung jetzt an Studierende in Stuttgart – immerhin fünf Prozent aller eingeschriebenen Hochschüler – und löste unter ihnen regelrechte Panik aus. Denn im Zweifelsfall, so kündigte die Rektorin an, werde man „Nachforschungen bei anderen Behörden – insbesondere bei der Lohnsteuerstelle, beim Finanzamt und beim Gewerbeamt – anstrengen“, heißt es in dem Brief.

Außerdem werden die Angeschriebenen ultimativ aufgefordert, sich einem Beratungsgespräch beim Dekan ihrer Fakultät zu unterziehen, „um die konkreten Verzögerungsgründe genauer zu analysieren“. Der Brief endet mit dem guten Rat: „Verstehen Sie diese Maßnahme als Gelegenheit zur Selbstprüfung Ihrer Ernsthaftigkeit, einen Studienabschluß anzustreben.“ Viele Studierende, die nebenher arbeiten müssen und vor allem aus finanziellen Gründen überdurchschnittlich lange studieren, empfinden das als zynisch.

Inzwischen hat die Fachschaftsvertreterversammlung der Uni Stuttgart gegen die Drohung protestiert und die Studierenden aufgefordert, die „Zwangsberatung“ zu boykottieren. Eine solche Beratung sei nur dann Rechtens, wenn die Studienordnung sie ausdrücklich vorsehe. Dies sei aber in Stuttgart nicht der Fall. Die Studentenvertreter weisen außerdem darauf hin, daß Nachforschungen beim Finanzamt nicht mit den Datenschutzbestimmungen vereinbar sind.

Mit dem Brief will die Rektorin die „seit Jahren bestehende Überlast an der Stuttgarter Universität“ abbauen. Offenbar hofft die Unileitung auf die Schockwirkung einer solchen Drohung und rechnet mit der freiwilligen Exmatrikulation vieler Studierenden. Indirekt bestätigt dies auch der Unipressesprecher Ulrich Engler: „Das Wachrütteln ist erfolgt.“

In der Univerwaltung liefen in den vergangenen Tagen die Telefone heiß. Studierende wollten Auskunft darüber, ob auch ein kleiner Nebenjob Auswirkungen auf die angedrohte Zwangsexmatrikulation haben könne. Bislang toleriert die Verwaltung Teilzeitjobs, wenn sie 20 Stunden in der Woche nicht überschreiten.

Zeitgleich mit der Rausschmißdrohung erklärte der Präsident des Landesarbeitsamtes in Stuttgart, Otto Schade, die Zahl der akademischen Arbeitslosen steige rapide an. Zur Zeit sind in Baden-Württemberg 222.230 AkademikerInnen bei den Arbeitsämtern gemeldet. Schade empfiehlt den Studierenden, während ihrer Studienzeit noch Betriebspraktika zu absolvieren, was die Studiendauer allerdings zwangsläufig verlängern würde. Philipp Maußhardt

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