Mehr Professionalität ist gefordert

■ Mit dem französischen Vorstoß gerät auch die Bundesregierung unter Druck, an den Grundfesten der allgemeinen Wehrpflicht zu rütteln

Anders als in Frankreich halten in der Bundesrepublik Regierung und Koalitionsparteien tapfer an der Wehrpflicht fest. Vornweg marschieren Verteidigungsminister Volker Rühe und Paul Breuer, verteidigungspolitischer Sprecher der Union im Bundestag. Immer wieder beteuern beide, die „bewährte Wehrpflicht“ bleibe, die allgemeine Dienstpflicht werde nicht angetastet. Es ist frommes Wunschdenken, denn auch in Bonn wird man sich früher oder später den veränderten Rahmenbedingungen anpassen müssen.

Zum einen geht es um die Wehrgerechtigkeit. Gegenwärtig leisten weniger als 40 Prozent eines Musterungsjahrgangs ihren Wehrdienst ab. Der Rest macht zur Hälfte Zivil- oder gar keinen Dienst. Auch mit der Verkürzung der Wehrdienstzeit auf 10 Monate, der Herabsetzung der Tauglichkeitskriterien und der Senkung des Einberufungsalters konnte im vergangenen Jahr eine „Wehrgerechtigkeit“ nicht annähernd hergestellt werden. Mit der Reduzierung des Bundeswehrumfanges auf 340.000 Soldaten geht auch einher, daß die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Vorrangigkeit des Wehrdienstes vor dem Ersatzdienst schon heute in Frage gestellt ist. Darüber hinaus ist die Bundeswehr bereits zu einem Anteil von rund 60 Prozent eine Berufs- und Freiwilligenarmee. Begründet wurde die allgemeine Wehrpflicht bei ihrer Einführung unter anderem mit der militärischen Bedrohung durch die Länder des Warschauer Paktes. Der „Soldat in Uniform“ sollte in hoher Zahlenstärke zur Verfgügung stehen, denn die Nato entwarf für den „Verteidigungsfall“ das Szenario eine großen europäischen Landkrieges. Mit dem Wegfall der Ost-West-Konfrontation und der Dominanz multiethnischer wie innerstaatlicher Konflikte ist die Legitimation für eine allgemeine Wehrpflicht ausgesprochen dürftig geworden. Mit der Umsetzung der Heeresstrukturreform im vergangenen Jahr wurde der Auftrag an die Streitkräfte um die „internationale Krisenbewältigung und Konfliktverhinderung“, wie beispielsweise dem Einsatz der Bundeswehr in Bosnien, erweitert. Da es sich bei solchen Einsätzen nicht mehr um eine „klassische Landesverteidigung“ handelt, entfällt damit eine Legitimation für den Einsatz und den möglichen Tod von Wehrpflichtigen.

In Frankreich werden Auslandseinsätze, wie sie auch von der Bundesregierung befürwortet werden, als Argument gegen eine Wehrpflicht vorgebracht. Verteidigungsminister Charles Millon hat kürzlich erklärt, die Erfahrungen in Somalia, Ruanda oder Bosnien hätten gezeigt, daß „eine mehr und mehr professionelle Armee“ notwendig sei. Eine solche Professionalität, soweit sind sich die Militärs einig, ist mit einer Wehrpflicht von 10 Monaten nicht herzustellen.

Die Bündnispartner haben bereits Konsequenzen aus der veränderten Sicherheitslage gezogen. Da der „Verteidigungsfall“ zunehmend unwahrscheinlich erscheint, schaffte Belgien den Wehrdienst 1992 ab. Das Land wandelt gegenwärtig seine Streitkräfte in eine Berufsarmee um. In den Niederlanden sind die französischen Überlegungen bereist umgesetzt. Dort wurde vor wenigen Wochen die letzten Wehrpflichtigen eingezogen. Nach über 130 Jahren verabschiedet sich das Königreich von der allgemeinen „Wehrpflicht in Friedenszeiten“. Eine ähnliche Regelung ist in den USA bereits seit dem Ende des Vietnamkrieges in Kraft, ebenso in Kanada und in Großbritannien.

Auch wenn es die Koalition gern will: Sie wird eine Debatte um die Wehrpflicht nicht vermeiden können. Die Bonner Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat Anfang Februar einen umfangreichen Antrag zur „Abschaffung der Wehrpflicht“ in den Bundestag eingebracht. Der Antrag wurde in erster Lesung ohne Aussprache an die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Er wird Mitte April im Verteidigungsausschuß beraten. Mit der Formel, die „Wehrpflicht ist unantastbar“, wird die Regierung dann nicht weit kommen. Wolfgang Gast