Entwicklungshilfe wird abgewickelt

■ Elmar Pieroths Wirtschaftsverwaltung rasiert den Nord-Süd-Etat der Stadt. "Einzigartiges Geflecht" von Nicht-Regierungsorganisationen wird zerschnitten. Geplantes Süd-Nord-Haus ist gefährdet

Die entwicklungspolitische Kompetenz der Stadt wird sich künftig wohl auf Dritte-Welt-Läden beschränken. Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU) streicht den entwicklungspolitischen Nicht-Regierungsorganisationen die Mittel radikal zusammen. Die Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit, eine kleine, höchst agile Abteilung der Wirtschaftsverwaltung, soll nur noch staatliche Nord-Süd-Institutionen fördern. Die aber ziehen bald nach Bonn – zurück bleibt eine ramponierte Drittweltszene.

Auch wenn die Berliner Parteien noch meckern, das Hauptstadtgesetz will es so: Kommt die Bundesregierung, verlassen drei renommierte staatliche Nord-Süd- Einrichtungen die Stadt Richtung Bonn: das „Institut für Entwicklungspolitik“, der „Entwicklungsdienst“ und die „Stiftung für internationale Entwicklung“. Gleichzeitig dreht Pieroth kirchlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsgruppen den Geldhahn zu.

Noch ehe die entwicklungspolitische Landesstelle seines Hauses ihren Sparbeitrag formuliert hatte, hackten ihm Pieroths Haushälter alles weg, was an Geldern nicht vertraglich gebunden ist: das trifft voll die Nicht-Regierungsorganisationen (NRO). Der Leiter der Landesstelle und Pieroths Sprecher Marco Hardt bewahrten zwar Stillschweigen zu dem „internen Vorgang“. Aber dem Vernehmen nach wird der 850.000 Mark dünne NRO-Projektmitteltopf geschröpft. Von zwei halbstaatlichen abgesehen, soll außerdem keine Drittweltorganisation mehr Geld für Personal und Miete erhalten.

Betroffen sind Projekte, die in der Stadt der Kongo-Konferenz (bei der 1884/85 in Berlin der schwarze Kontinent wie ein Kuchen zerstückelt wurde), den Gedanken daran wachhalten sollen, daß der Norden die bittere Armut des Südens (mit)verursacht. Bedroht ist das überwiegend in Schulen aktive EPIZ, das „Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationszentrum“. Auch das Stipendienprogramm für Studienaufenthalte in Afrika, Asien und Lateinamerika soll seine Schuldigkeit getan haben. Das Aus droht ebenso dem „Internationalen Institut für Journalismus“, das alljährlich 45 Leute aus dem Trikont in Berlin für die schreibende Zunft ausbildet. „Das ist, gelinde gesagt, der Kahlschlag der nichtstaatlichen Entwicklungsszene“, meinte Robert Große vom FDCL, dem „Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika“. Das FDCL werde nicht gleich sterben, so Große. Aber ohne die oft nur kleinen Beträge der Landesstelle, fehle nun für vieles die Anschubfinanzierung.

Der staatliche Topf, erklärte Wilhelm Volks vom kirchlichen Drittweltverbund „Inkota“, sei oft die Basis für Ko-Finanzierungen. Es falle damit leichter, Mittel von Stiftungen oder Privaten einzuwerben. Dieses sogenannte Fundraising, eine in den USA verbreitete Finanzierungsform für NROs, ist im entwicklungspolitischen Bereich schwer genug.

Beim „Weltfriedensdienst“, einem alteingesessenen Entwicklungsverein, ist das Spendenaufkommen 1994 erneut eingeknickt. Da wird die Staatsknete umso wichtiger. „Wir leben nicht von den Geldern des Senats, aber für Projekte der entwicklungspolitischen Öffentlichkeitsarbeit sind sie unabdingbar“, erläuterte Eberhard Bauer. Gefährdet ist nun auch das lange geplante „Süd-Nord-Haus“ in Berlin. Darin sollten die entwicklungspolitischen Initiativen eine bezahlbare Bleibe finden, nachdem die steigenden Gewerbemieten den ehrenamtlichen Gruppen arg zusetzten.

Die Mittelkürzung ist entwicklungspolitisch der Offenbarungseid. Mehrfach hat der Senat seine Landesstelle zum Herzstück für den Ausbau des „Nord-Süd-Zentrum Berlin“ geadelt. Die NROs der Stadt stellten ein einzigartiges Geflecht von Wissen dar, heißt es im Entwicklungsbericht 1992 an das Abgeordnetenhaus, „aus dem Teile ohne Schaden nicht herausgebrochen werden können“. Die kirchlichen und gesellschaftlichen Initiativen für „Eine Welt“ dienten Berlin als engagierte Kulisse einer weltoffenen Hauptstadt.

Damit macht nun ausgerechnet „der Entwicklungshelfer“ Elmar Pieroth Schluß. 1960 ging Pieroth, 26jährig, nach Togo und versuchte 2.000 Hektar Land urbar zu machen. Später stand der Pfälzer mehrere Jahre dem entwicklungspolitischen Arbeitskreis der Union vor. Als ihn entwicklungspolitisch engagierte Parteifreunde jüngst auf den Nord-Süd-Kahlschlag seiner Wirtschaftsverwaltung ansprachen, soll er abgewiegelt haben: Es werde alles nicht so schlimm. Bei den Dritt-Welt-Gruppen der Stadt wird das bitter kommentiert: Das sei das Todesurteil, denn Pieroth habe jahrelang auch die Berliner Finanzen schöngeredet. Christian Füller