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Halsbrecherischer Stillstand

■ Koproduktionen von Komischer Oper und Hebbel-Theater beim „Tanz-Winter“

Komische Oper goes Hebbel- Theater. Vor zwei Jahren hätte das selbst die hartnäckige Hebbel-Direktorin Nele Hertling kaum für möglich gehalten – heute scheint die Koproduktion der beiden Häuser fast selbstverständlich. Jährlich will Marc Jonkers, Direktor der Komischen Oper, gemeinsam mit Nele Hertling auf Talentsuche gehen und im Rahmen des „Tanz- Winters“ einen gemeinsamen Abend präsentieren. Zwei Forsythe-Tänzer, die die ersten choreographischen Fingerübungen gerade hinter sich gebracht haben, sind für 1997 schon ausgewählt.

Dieses Mal war man etwas vorsichtiger: Die drei spanischen Choreographen Cesc Gelabert, Vincente Saez und Juan Carlos Garcia gelten noch als „jung“ – doch das hat wohl weniger mit ihrem Lebensalter als mit ihrer Ästhetik zu tun. Cesc Gelabert, seit 1988 regelmäßig in Berlin zu Gast, eröffnete den Abend mit „Lucrecia Stop“ und konnte den Tänzern der Komischen Oper seine Vorstellungen offensichtlich nicht ganz vermitteln. Um die Macht der Bilder soll es gehen, um Wunschverwirklichung mittels Werbung, um das Zirkulieren von Identität.

Doch keine Spur von oszillierenden Bildern, wie man sie aus anderen Gelabert-Arbeiten kennt. Statt dessen ist man Zeuge eines plumpen Handlungsballetts mit unausgegorenem und nicht nachvollziehbarem Plot. Vier Damen, die, laut Programmheft, irgendwie die Illusion eines Werbespots hervorrufen sollen, der für einen Moment alle Wünsche wahr macht, wirken einfach nur steif und leblos wie Schaufensterpuppen. Marie Nötzel und Uwe Küßner, der Hauptakteurin Alma Munteanu zur Seite gestellt, zeigen zwar recht ordentlichen Tanz, scheinen aber schlichtweg nicht zu wissen, worin der Sinn ihres Tuns besteht. Allein Alma Munteanu selbst brilliert: Als geheime Drahtzieherin stürzt sie sich in die von ihr erschaffenen Bilder, koboldhaft und verführerisch, bedroht und berauscht von der eigenen Macht.

Nach der Pause geht es mit Vicente Saez' „Wirbel“ weiter. Eine Untersuchung darüber, wie Energie zu kontrollieren, zu kanalisieren und in Bewegung umzusetzen sei. Hier gibt es wirkliche Entdeckungen zu machen. Catharina Isabelle Culeman zeigt ein unglaubliches Solo, vielleicht das beste des ganzen Abends. Aus völliger Ruhe explodiert sie in kathartische Ausbrüche. Mit der etwas kitschigen New-age-Seligkeit, in die der Choreograph Saez seine Tänzer manchmal verfallen läßt, hat diese Ruhe allerdings nichts zu tun. Inspirierter Tanz, der bei der Premiere im Publikum zu einer Stille führte, die man hören konnte.

Saez' Choreographie hat noch mehr eindringliche Momente aufzuweisen, doch sollte nicht unerwähnt bleiben, daß die Musik die Grenze zum Ethnokitsch hart schrammt und die mit Insignien der Stammeskunst verzierten Kostüme und das auf gleiche Weise geschmückte Bühnenbild diese Grenze eindeutig überschreiten.

Ihm gehe es um den als Frau geborenen Mann, um den Vorgang des Fliehens, sagt der Choreograph Juan Carlos Garcia. Atemlos und rätselhaft geht es in seinem Stück „Landschaft mit Schatten“ zu. Die Tänzer stürzen sich in halsbrecherische Aktionen und stoppen sie abrupt wieder – es handelt sich nur um Versuche, um Proben des eigenen Könnens. Freundlich miteinander plaudernd, geht man seiner Wege, schaut gelassen und mäßig interessiert den Tanzenden zu, um kurz darauf wieder zu neuen Sprüngen anzusetzen. Männer und Frauen liefern sich haßerfüllte und leidenschaftliche Gefechte, kleine Grüppchen finden zusammen und lösen sich wieder auf. Eine irreale, verstörende Szenerie entsteht, in der mit der unglaublichen Hast, in der eine Aktion die nächste jagt, die Zeit zum Stillstand zu kommen scheint. Michaela Schlagenwerth

„Lucrecia Stop“, „Wirbel“, „Landschaft mit Schatten“, heute u. morgen, 20 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstr. 29, Kreuzberg

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