■ Pressespiegel: Was sagen die anderen?: Alle reden vom Wetter
Ruinierte Schuhe und Bänderrisse, schlechtgelaunte Hausmeister, die schon frühmorgens mit einem Sandeimerchen in der Hand über die Bürgersteige schlurfen müssen – das ist Deutschland im Winter. Grund genug also, das Wetter aufs schärfste zu verurteilen, ihm Leitartikel und Kommentare zu widmen. Und das geschieht sogar. Wo früher fatale Entwicklungen – Glatteisbildung, meterhohe Schneeverwehungen – totgeschwiegen wurden, schreibt man heute Klartext. Wo früher Informationen unterdrückt wurden und kein Mensch vom Windchill sprach, packt man heute das heiße Eisen an. Mit Handschuhen, denn es ist Winter.
Eine Auswertung der führenden Zeitungen und Zeitschriften zeigt, daß sich die Kollegen ernsthaft und wohlüberlegt der Wetterfrage gewidmet haben. Die Wahrheit dokumentiert die wichtigsten Gedanken der vergangenen Wochen.
NEUES DEUTSCHLAND
Vor genau acht Jahren fiel die Mauer. Damals war es kalt. Wer hätte damit gerechnet? Die Entwicklung verdeutlicht: Auch heute ist es kalt. Doch in Bonn muß man wissen: Ohne den Osten geht es nicht. WAS in dieser konkreten Lage WIE zu tun ist, kann ohne die PDS praktisch nicht entschieden werden. Reiner Oschmann
BILD
Brrr. Brrr. Deutschland friert. Und zittert. Wann wacht Bonn auf? Wer auf der zentralgeheizten Seite des Lebens sitzt, hat's immer warm. Aber die Kumpels bringen die Kohle rauf. Auch für Omi. Wenn Rente reicht. Soziale Kälte ist kälter als jeder Winter. Kanzler, schmilz den Schnee! Peter Boenisch
CAPITAL
„Kurzweilig ist des Winters heiteres Flockenspiel“, schreibt der gute alte, deutsche Dichter Gerdinus Henschelan. Nicht kurzweilig. Langwierig in diesem Jahr. Nur der Gedanke an den Frühling, wenn klamme Hüllen fallen und Langbeiniges sich zeigt, stimmt das Herz Grosser Dichter heiter.
Johannes Gross
JUNGE WELT
Atlantische Tiefausläufer wühlen zur Zeit die Irische See auf und hindern den warmen Golfstrom daran, Britannien aufblühen zu lassen. Dieses sezessionistische Winterwetter schadet allein den britischen Tories. Schon Marx aber erkannte, daß mächtige Tories als Gegenpol zum Erstarken Neo- Großdeutschlands von entscheidender geopolitischer Bedeutung sind. Jürgen Elsässer
DIE ZEIT
„Lieblicher scheinet, als sonst, nach mächtigen Wolken die Sonne, Heller strahlet nach Streit wieder die Liebe hervor“, oder kurz gesagt: Post nubila Phoebus (Auf Regen folgt Sonnenschein), meinten schon die alten Römer (...) Das ist der Irrtum und die ganze Vertracktheit der aktuellen Großwetterlage. Es braucht sicherlich größere Zusammenschlüsse. Das atlantische Tief behält dabei seine globale Bedeutung. Aber auch der Süden darf nicht aus dem Blick geraten.
Theo Sommer
FRANKFURTER
ALLGEMEINE
Die barbarischen Serben setzen in diesem bitterkalten Winter auf das kommende Mischwetter. Belgrads Planziel ist es, Kroatien ausbluten zu lassen. Noch ist das Gleichgewicht eingefroren, auch wenn Bonn und Washington Zagreb im Schnee stehen lassen. Ein fürchterliches Fehlurteil: Sollte die internationale Staatengemeinschaft endgültig jeden Realismus vermissen lassen?
Johann Georg Reißmüller
RHEINISCHE POST
Winterzeit ist Fastenzeit. Nein, ich will den Schnee nicht schwarzmalen, obwohl Bonn und Washington zur Zeit jeden Realismus vermissen lassen. Noch ist das Gleichgewicht zwischen Zagreb und Belgrad eingefroren, doch die Serben setzen sicherlich auf das kommende Mischwetter, um Kroatien ausbluten zu lassen.
Joachim Sobotta
DER SPIEGEL
Bismarck, Barzel, Beckenbauer sind drei historische Eckpfeiler deutscher Geschichte, die der kleine Mann und Frau im Alltag nicht mehr wahrnimmt. Statt dessen das Wetter. Und tatsächlich, seit Friedrich Zwei, den manche den Großen nennen, hat das Land nicht mehr eine solch klirrende Winterkälte erlebt. Selbst Hitlers Winterfeldzug gegen den russischen Despoten hinterließ weniger kalte Füße als heute in Bonn zutage treten – auch mit der FDP.
Rudolf Augstein
SONNENFREUNDE
In aller Unschuld den nackten Körper in freier Natur spielen zu lassen, ist heute keine Frage der Moral. Der Winter zieht zu scharf durchs Land. Schnee und Eis liegen auf Seen und Meeren. Wir vermissen die sanften Strände, an den Knaben und Mädel spielerisch an ihren zarten Körpern herumspielen, in aller Unschuld.
Dietmar Dath
FRONTPAGE
Unsere Augen und Ohren sind schneller geworden. Auf der Suche nach den besten Kicks. Und wir alle, jeder einzeln und zusammen, sind vom Winter gelangweilt. Aber unsere Sensoren sind ausgefahren, bald taut es, und dann werden wir unsere Chancen nutzen, neuen Herausforderungen und Späßen begegnen. Love. Respect. And this magic energy!
Jürgen Laarmann
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