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„Die Russen wollen Krieg im ganzen Kaukasus“

■ Föderale Truppen beschießen Dörfer in Inguschetien. Die Republik wirft Moskau Verfassungsbruch vor

Moskau (taz) – Russische Truppen haben am Wochenende die Dörfer Galaschki und Arschty in der tschetschenischen Nachbarrepublik Inguschetien unter schweren Artilleriebeschuß genommen. Nach inguschetischen Angaben riegelten Armee-Einheiten die in den Bergen gelegene Ortschaft Galaschki völlig ab, ohne BewohnerInnen und Vertretern der örtlichen Verwaltung die Chance zu geben, das Dorf zu verlassen. Genaue Angaben über Opfer liegen noch nicht vor. Doch sollen mindestens sechs Menschen getötet und elf verletzt worden sein.

An die sechzig Panzer und weiteres Militärgerät wurden sieben Kilometer vor Arschty in Stellung gebracht. Einem Konvoi des inguschetischen Notstandsministeriums, der die BewohnerInnen mit Medikamenten versorgen wollte, versagten die föderalen Soldaten die Zufahrt. Über den Dörfern kreisten Kampfhubschrauber. Arschty liegt vierzig Kilometer südlich der inguschetischen Hauptstadt Nasran, von der keine Straße direkt in das Bergdorf führt. Um dort hinzugelangen, muß man über tschetschenisches Gebiet.

Aus dem russischen Verteidgungsministerium war Widersprüchliches zu hören. Zunächst hatte es jede Verbindung mit der Aktion bestritten. Einen Befehl hätte es nicht gegeben. Die Truppen seien dabei, in Westtschetschenien gegen Rebellen vorzugehen. Die Vorsitzenden der beiden Dörfer wiesen Behauptungen der Armeeführung zurück, wonach sich Rebellen dort verschanzt hätten. Gestern jedoch wollte oder konnte das Ministerium eine Verwicklung nicht mehr dementieren.

Staatliche Einrichtungen in Alarmbereitschaft

Der Vizepremier der Republik Inguschetien, Agapow, sagte, bestimmte Kräfte in Rußland versuchten seine Region mit in den Konflikt hineinzuziehen, um einen Vorwand zu schaffen, die russischen Präsidentschaftswahlen auszusetzen. Der Sicherheitsrat Inguschetiens veröffentlichte noch am Sonnabend eine Bekanntmachung, in der er Rußland des mehrfachen Verfassungsbruchs bezichtigte und den sofortigen Abzug der Truppen verlangte. Alle staatlichen Einrichtungen wurden in Alarmbereitschaft versetzt.

Schon zu Beginn des Tschetschenienfeldzugs im Dezember 1994 hatten die föderalen Truppen die Rechte Inguschetiens verletzt, als sie ohne Hinweis das Gebiet als Truppenauffuhrplatz mißbrauchten. Dem umsichtigen Präsidenten von Inguschetien, Auschew, gelang es damals, eine Ausweitung des Konflikts zu verhindern. Inguschetien hatte sich ausdrücklich dazu bekannt, Teil der Russischen Föderation zu bleiben. Während der Sowjetzeit bildeten Tschetschenien und Inguschetien eine Republik. Der Separatismus Dschochar Dudajews stieß in Nasran auf Ablehnung, woraufhin die Republik geteilt wurde.

Ein Pressesprecher in der inguschetischen Vertretung in Moskau sagte gegenüber der taz: „Es ist unbegreiflich, warum die Russen das jetzt machen. Wir waren froh, ein Teil Rußlands zu sein.“ Eine Verschärfung der kriegerischen Auseinandersetzung könne nicht im Interesse Rußlands sein, über kurz oder lang würde so aus einer Republiks- eine Staatsgrenze.

Die Inguschen befürchten, die Stimmung in der Bevölkerung könne umschlagen. Man führt die Aktion auf einen Konflikt zwischen politischer und militärischer Führung in Moskau zurück. Womöglich habe die Befehlszentrale des Nordkaukasischen Wehrkreises und der 1008. Armee auf eigene Faust gehandelt. „Die Russen wollen Krieg im ganzen Kaukasus“, nachdem es ihnen nicht gelungen ist Dagestan mit hineinzuziehen, sagte ein Bewohner Galaschkis. Klaus-Helge Donath

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